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Betül Seyma Küpeli

Im Gespräch mit Barbara Pflanzner, Akademie Studio-Programm, Creative Cluster, 4. April 2024.

Du hast einen Background in ganz verschiedenen Bereichen, als Architektin, bildende Künstlerin, Musikerin, Pilatestrainerin, Kulturarbeiterin. Inwiefern bedingen sich denn diese verschiedenen Tätigkeiten in deiner künstlerischen Praxis?  

Gute Frage. Architektur im klassischen Sinn mache ich eigentlich gar nicht mehr. Ich habe es zwar studiert, aber eigentlich kaum ausgeübt. Kulturarbeit betreibe ich seit je her beziehungsweise war sie bisher immer Teil meiner Praxis, gleichzeitig ist damit auch die Möglichkeit gegeben, sich für ein gutes Einkommen nicht zu weit von der Kunst zu entfernen. 

In deiner Diplomarbeit zum Architekturstudium hast du dich mit dem Thema Flüchtlingspolitik und räumliche Strategien in Österreich beschäftigt. Inwiefern spielen gesellschaftspolitische Themen auch in einer künstlerischen Arbeit eine Rolle?  

Ganz stark eigentlich. Vor allem Gesellschaftsdiagnosen und Kulturanalysen. Ich habe viel in Kollektiven gearbeitet und war in verschiedenen Diaspora aktivistisch unterwegs. Soziopolitische Fragen sind immer Teil meiner Arbeit, eigentlich meiner Identität. Ich selbst bin Kurdin aus der Türkei und bin auch so erzogen worden, dass ich schon früh eine Sensibilität für politische Fragen entwickelt habe. Das wirkt sich auf die künstlerische Arbeit aus. 

Die von dir genannten Themen hast du etwa in dem Projekt Soft Body, Solid Machines verhandelt, das 2021 im Rahmen des Festivals der Regionen gezeigt wurde. Um was geht es bei diesem Projekt genau? 

Bei Soft Body, Solid Machines ging es um die Textilfabrik Lodenfrey in Bad Ischl, eine Münchner Firma, die Trachten hergestellt hat. Die Fabrik gibt es heute so nicht mehr, das Fabriksgelände wurde bereits in den 1990er Jahren aufgegeben, weil die Produktion zu teuer wurde und nach Rumänien und Ungarn verlagert wurde. Ich wollte mit den ehemaligen Textilarbeiterinnen über diese Zeit reden und auch auf eine gewisse Art Archivarbeit betreiben. Ich war fast ein Jahr lang immer wieder dort, habe viel Beziehungsarbeit gemacht und ganz tolle Frauen kennengelernt, aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus der Türkei, aber auch Österreicherinnen. Viele der Frauen haben mit ihrer Familie in einer Wohnmöglichkeit der Fabrik gelebt, teilweise leben sie da immer noch. Durch dieses Projekt haben sie sich auch zum ersten Mal repräsentiert und sichtbar gefühlt. Nach dem Aus der Lodenfabrik waren sie von einem Tag auf den anderen arbeitslos. In Ischl gibt es nicht viele andere Möglichkeiten. Wenn das ganze Familien und Generationen betrifft – ich habe etwa eine Familie kennengelernt, da haben alle in der Lodenfrey-Fabrik gearbeitet –, ist das schon traurig. In den Gesprächen ging es sehr oft um die maschinelle Arbeit, um bestimmte Choreografien, um bestimmte Abläufe. So habe ich eigentlich schnell gemerkt, dass ich nicht nur ein Porträt der Personen zeigen will, sondern den Zusammenhang zwischen Maschine und Mensch beziehungsweise den Menschen als Verlängerung oder Prothese der Maschinen thematisieren will. Es war mir wichtig zu zeigen, dass es viel mehr ist als nur eine Migrationsgeschichte.

Die Arbeit war als Ausgangspunkt für die längerfristige Errichtung eines Archivs der Migration im Salzkammergut gedacht, wie steht es denn aktuell um das Projekt?

Ja, es war eigentlich die Idee, dieses Archiv weiterzuführen. Es ist dieses Jahr ja auch Kulturhauptstadt, aber leider ist nichts daraus geworden. Über eine Frau, mit der ich immer noch verbunden bin, weiß ich, dass die Frauen aber ab und zu noch in einem Jugendzentrum zusammenkommen. 

Mit deiner Kollegin Seba Kayan verfolgst du ein Musikprojekt, mit dem du Kunst und Musik, traditionelle und zeitgenössische Klänge, verbindest. Was kannst du über diese Kollaborationen erzählen?

Dieses Musikprojekt ist eigentlich auch eine Art Archivarbeit gewesen. Seba Kayan ist DJ und kommt von der Technomusik. Wir haben uns durch ein WIENWOCHE-Projekt kennen gelernt, für das ich sie als Kuratorin eingeladen hatte. Sie hat neben Techno auch viel mit kurdischer Musik gearbeitet und gemeinsam waren wir auf der Suche nach alter kurdischer Musik, zu der ich auf Kurdisch gesungen habe. So gesehen war das Projekt eigentlich auch Teil meiner Identitätsentwicklung. Wir wurden zu Festivals eingeladen und haben ein paar ziemlich coole Sachen gemacht. 

Du wolltest deinen Raum ja auch nutzen, um dich mehr auf Musik zu konzentrieren. Ist dir das gelungen?  

Es ist mir ein bisschen gelungen. Leider habe ich dafür gerade nicht so viel Zeit. Ich bin eher fokussiert auf den Film, an dem ich gerade arbeite, den Kurzfilm Gia. Wobei ich dafür mit einem Freund auch die Musik komponieren werde. Da wird also noch etwas kommen. 

Und um was geht es bei diesem Kurzfilm?  

Es geht es um die sogenannte Grind Culture oder Hustle Culture. Das sind Themen, an denen ich schon seit fast zwei Jahren arbeite und an denen ich auch weiterarbeiten will. Da geht es um die „Kultur der Überarbeitung“ beziehungsweise um eine überarbeitete Gesellschaft. Ich habe selbst früh mit Pilates angefangen, dann begonnen, selbst als Pilatestrainerin zu arbeiten, und mich immer auch für Biohacking und die Frage interessiert, wie man sowohl körperlich als auch mental sein Potenzial bestmöglich nutzen kann. Ich habe aber schnell für mich gemerkt, dass mich das fertig macht – immer besser werden zu wollen, kann auch sehr unglücklich machen. Das ist eine ganze Welt für sich. Im Film wird die Dualität zwischen dem Vorsatz, dass man gut leben und sein vollstes Potenzial nutzen will und zugleich gestresst davon ist dokumentiert. Er zeigt, wie sich diese Selbstoptimierung in eine ganz andere Richtung entwickelt,  und nimmt Bezug auf die Zeit, in der ich viel in Therapie gegangen bin und Körperarbeit gemacht habe. 

Wie sehen deine Pläne für die kommende Zeit aus?

Ich versuche dieses Projekt nun bald abzuschließen. Ich überlege gerade, eine Trilogie daraus zu machen. Chia ist ja so etwas wie ein Avatar, es gibt mehrere von ihr, etwa die holistic Gia oder die athletic Gia. Ich weiß jedenfalls jetzt schon, wie mein zweiter Film ausschauen wird.