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Über Cathrin Pichler

Als Kuratorin, Schreiberin und Visionärin und nicht ausschließlich als öffentliche Person hat Cathrin Pichler ihre Spuren über Jahrzehnte in Dialogen, Seminaren, Tagungen und Gesprächen hinterlassen. Dabei zeigte sich eine Vielfalt der Rede, deren Essenz – ausgesprochen oder unausgesprochen – jene war, herauszufinden, was es heißt, Stellung zu beziehen. Das Erstaunliche an Cathrin Pichler war, dass sie, früh zur Grand Dame der Kunstwelt ernannt, in ihrer Arbeit und ihrem Wesen und trotz ihres Anspruchs an sich selbst als kritische Intellektuelle, nie an Sinnlichkeit einbüßte. Den großen Komplex der Emotion hob sie immer in den höchsten Rang und lebte ihn. Wenn man Emotion nun mit Bewegung oder Bewegtheit gleichsetzt und Emotionslosigkeit mit Unbewegtheit, wird klar: Unbewegt war Cathrin Pichler nie. Ihr Leben bestand aus Lesen, Reisen, Sehen, Denken und vor allem Handeln und ihrer intellektuellen Wachheit entging selten etwas; ihre Aufmerksamkeit war unendlich groß, sowohl im Zuhören als auch in ihrer Zuwendung. Die Menschlichkeit, mit der sie Kunst feiern konnte, war Cathrin Pichlers Größe. Und es war Kunst, in ihren Eigenschaften fragil, fragwürdig und fragend, der sie sich verschrieben hatte. Durchgängig an Grenzgänger_innen und Schwellenwesen interessiert und wohl auch Teil derselben, schreibt sie über das Potential der Schwelle: „Die Schwelle ist etwas Ungenaues und Vieldeutiges“. Etwas wie ein Übergang, ein Moment einer Veränderung, eine Art Leerstelle in einer Bewegung, ein Atemholen zwischen zwei Zuständen. Diese Unmöglichkeit ihres widerständigen Wesens, sich zur Gänze in eine Ordnung der Vernunft einzuschreiben, schreibt sie auch der Kunst und der modernen Seele zu: „Die Kunst unterhält zur Seele eine seltsame Verwandtschaft, nicht allein über die Phantasie, die als Merkmal wohl beiden zugehört, sondern grundsätzlich und mehr noch durch eine eigentümliche Exterritorialität, die für beide charakteristisch ist. Weder die Kunst noch ihre Patin, die Seele, lassen sich endgültig festlegen [...], die Seele hat keinen bestimmten Ort, sie ist Niemandsland, ein Zwischenreich, das nur durch ein Erscheinen an anderen Orten zu bemerken ist“. So diente für Cathrin Pichler auch die Figur des Engels als notwendige Folie der Überschreitung und des Ausbruchs aus der Enge der Realität. Daraus schließend, dass „Engel erscheinen – vom Himmel gefallen – als die Konnotationen einer Poetik der Übertretung, als das zweite Gesicht. Sie künden von der Kontingenz des modernen Menschen und begleiten dessen Irrfahrt durch das Leben“. Cathrin Pichler bezeichnete damit das Andere, Fremde und Bedrohliche im Menschen selbst: „Selbst im Diminutiv des Engelchens signalisiert die Figur des Engels die Übertretung; der Engel ist der entfremdete, der nonkonforme, ausgegrenzte, revoltierende, anarchische Andere [...] er ist Möglichkeit, ja er beflügelt den Sinn für das Mögliche, die Phantasien, die Imagination und er nährt die Sehnsucht nach Erkenntnis“.

Cathrin Pichler war eine nimmermüde Repräsentantin und Darstellerin dieses „modernen Engels“, „Kristallisation des Menschenmöglichen außerhalb des Diktats der Rationalität“, Kreatorin, Darstellerin und Repräsentantin, unermüdliche Übersetzerin ästhetischer, philosophischer und politischer Möglichkeiten.

Christian Reder über die Zusammenarbeit mit Cathrin Pichler

Biographie

Cathrin Pichler wurde 1946 in Gmunden, Oberösterreich geboren. Sie studierte Publizistik, Kunstgeschichte, Soziologie und Psychologie sowie Kommunikationstheorie und Informationsästhetik. Von 1977 bis 1982 war sie Projektleiterin am Institut für Konfliktforschung in Wien. Im Anschluss arbeitete sie bis 1985 als Freie Mitarbeiterin an jenem Institut. Ebenfalls war sie während dieser Zeit am Institut für Demographie der Akademie der Wissenschaften tätig. Von 1992 bis 1994 war sie zusammen mit Robert Fleck die erste Bundeskunstkuratorin. 1995 wurde sie zur Chefkuratorin der Kunsthalle Wien ernannt, gab diesen Posten jedoch nach zwei Jahren aus und blieb in Folge freie Kuratorin und Lehrende an mehreren Universitäten. Am 29. Juni 2012 starb Cathrin Pichler nach schwerer Krankheit in Wien. Im März 2012 wurde die Kunstvermittlerin und Kuratorin mit dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse ausgezeichnet.

Ausstellungen und Publikationen (Auswahl)

Wunderblock. Eine Geschichte der Modernen Seele
Messepalast (MQ), 1989

Katalog: Wunderblock. Eine Geschichte der modernen Seele. Wiener Festwochen (Hg.), Löcker Verlag, 1989.

Engel, Engel. Legenden der Gegenwart
Kunsthalle Wien, 1997

Katalog: Engel, Engel: Legenden der Gegenwart. Pichler, Cathrin (Hg.), Springer, Wien/ New York , 1997.

Crossings – Kunst zum Hören und Sehen
Kunsthalle Wien,  1998

Katalog mit Audio-CD: Crossings – Kunst zum Hören und Sehen. Pichler, Cathrin (Hg.), Springer, Wien/ New York, 1998.

Antonin Artaud
mumok, 2002

Publikation: Antonin Artaud. Zur Ausstellung im Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien. Matthes & Seitz, München, 2002.

Für diese Ausstellung trug Cathrin Pichler die bisher komplexeste Sammlung an Materialien von und zu Antonin Artaud zusammen.

Trans Act. Interventionen zur Lage in Österreich
museum in progress Wien, 2010

Publikation: TransAct: Transnational Activities in the Cultural Field / Interventionen zur Lage in Österreich museum in progress. Pichler, Cathrin (Hg.)/ Berka, Roman (Hg.), Edition Transfer, Springer, Wien/ New York, 2010.

The Moderns - Revolutions in Art and Science 1890-1935
mumok, 2010

Publikation, posthum erschienen: The Moderns - Revolutions in Art and Science 1890-1935. Pichler, Cathrin, Neuburger, Susanne (Hg), Edition Transfer, Springer, Wien/ NewYork, 2012.

The Moderns – Revolutions in Art and Science 1890-1935 war Pichlers letzte Ausstellung im Herbst 2010 im Museum Moderner Kunst Wien.