1872 - Das erste Dokument…
Zahlreiche Dokumente im Universitätsarchiv belegen die zunächst ablehnende Haltung der Akademie der bildenden Künste Wien gegenüber der Zulassung von Frauen zum Studium. Das erste Dokument stammt aus dem Jahr 1872.
Im Wintersemester 1920/21, also genau vor 100 Jahren, werden Frauen erstmals zum Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien zugelassen.
Die Anfragen, Gutachten, Diskussionen und Ausflüchte, die dieser Entscheidung vorangehen, erstrecken sich über Jahrzehnte. Als roter Faden zieht sich die Ablehnung der Professoren gegenüber dem gemeinsamen Unterricht und deren Aberkennung der künstlerischen Befähigung von Frauen durch. (1)
Das Gutachten von 1872
Das erste der zahlreichen Dokumente des Universitätsarchivs der Akademie der bildenden Künste Wien (UAAbKW) zu diesem Thema stammt aus dem Jahr 1872. Das Ministerium für Cultus und Unterricht (Unterrichtsministerium) beauftragt im Dezember 1871 die Akademie, sich über die Möglichkeit der Zulassung von Frauen zum Unterricht an der Akademie zu äußern. (2) In der Sitzung vom 12.3.1872 befasst sich das Professorenkollegium mit der Angelegenheit. Das Gutachten folgt Wochen später, das Aktenstück datiert vom 17. April 1872. (3)
Das Professorenkollegium lehnt die Zulassung von Frauen zum Studium an der Akademie grundsätzlich ab. Unter anderem werden Platzmangel und das niedrigere Bildungsniveau der Frauen als Gründe angeführt. Vor allem aber wird in dem Gutachten auf die Gefahren des gemeinsamen Unterrichts von jungen Männern und Frauen hingewiesen, so „[…] können doch Fräuleins unmöglich in Gesellschaft von jungen Männern ihren Studien gewissenhaft nachkommen ohne die Ruhe und Ordnung des Institutes zu schädigen“. Zudem erscheinen Frauen nur für die „niederen“ Kunstrichtungen wie Landschaft-, Blumen- und Porträtmalerei geeignet.
Die Errichtung einer eigenen Kunstschule für Frauen wird daher empfohlen – 1897 sollte dann tatsächlich eine solche Institution als „Verein Kunstschule für Frauen und Mädchen“ gegründet werden. (4)
Transkription des Originaltextes
Quellen: Verwaltungsakten des UAAbKW; Barbara Doser: Das Frauenkunststudium in Österreich. 1870-1935, Dissertation Innsbruck 1988; https://fraueninbewegung.onb.ac.at/
Das Gutachten von 1904
1904 erfolgte dann ein weiterer Vorstoß. Schülerinnen einer privaten Kunstschule in Krakau stellen an das Unterrichtsministerium eine Anfrage bezüglich der Zulassung von Frauen an den Akademien in Krakau, Prag und Wien. Dieses verlangt daraufhin ein Gutachten von den drei Kunstinstitutionen. Während die Akademie Krakau sich die Teilnahme von Frauen am Unterricht vorstellen kann, lehnt die Akademie Wien – wie auch Prag – ab. (5) Als zentrales Argument führt die Wiener Akademieleitung an, dass es die Möglichkeit des Studiums an der Frauenakademie und im Privatunterricht sehr wohl gebe. Es wird eine Vielzahl von weiteren Argumenten hervorgebracht, von sittlichen Bedenken bis zum grundsätzlichen Negieren schöpferischer Fähigkeiten bei Frauen:
„Die Erfahrung erweist aber, daß die Mädchen zwar nicht selten hochbegabt sind und daß sie, so lange sie unter der Leitung des Lehrers stehen, durch Gelehrigkeit, Fleiß und regen Eifer sich auszeichnen, daß sie aber mit seltenen Ausnahmen des schöpferischen Geistes auf dem Gebiete der großen Kunst entbehren und, auf sich selbst gestellt, ernsten Aufgaben hilflos gegenüberstehen.“ „Die unausbleibliche Folge der Zulassung von Mädchen wäre das Überhandnehmen des Dilettantismus und das Zurückdrängen des männlichen Elementes; …“ (6) Auf Grund dieser Gutachten unternimmt das Ministerium keine weiteren Schritte.
VA 1904 Zl. 65 Gutachten des Professorenkollegiums der Akademie der bildenden Künste Wien zur Zulassung von Frauen zum Studium. © Universitätsarchiv
In den folgenden Jahren werden immer häufiger Anfragen direkt an die Akademie oder an das Unterrichtsministerium gestellt, (7) das Professorenkollegium verweist jedoch stets auf das Gutachten von 1904, das Jahrzehnte später noch immer vollinhaltlich unterstützt wird. Als neues Argument wird zusätzlich auf den beschränkten Platz hingewiesen. Das Ministerium legt aufgrund der zu erwartenden finanziellen Mehrkosten und nötiger Reorganisation die Frage neuerlich ad acta.
Das Zulassungsverfahren
Erst nach Ende des 1. Weltkriegs wird ein Zulassungsverfahren eingeleitet. (8) Auch hier kommt der Anstoß von außen: aufgrund einer Eingabe mehrerer Frauenvereinigungen wird das Staatsamt für Inneres und Unterricht (Unterrichtsministerium) aktiv und fordert die Akademie auf, Vorschläge zur Umsetzung des Studiums von Frauen an der Akademie zu erstellen. (9) Die Akademieleitung reagiert nach monatelanger Verzögerung und verweist auf Raumprobleme und Überlastung der Lehrkräfte. Erst nachdem das Unterrichtsministerium mit Ende Jänner 1920 eine Frist setzt und detaillierte Lösungsvorschläge einfordert – wobei finanzielle Mittel von Seiten des Ministeriums nicht in Aussicht gestellt werden – erarbeitet eine Kommission bestehend aus den Professoren Bacher, Delug, Schmutzer, Jettmar und Müllner Lösungsvorschläge. Das Schriftstück ist datiert mit 29. Jänner 1920 und wird am 31.1.1920, also zum letztmöglichen Termin, dem Ministerium zugestellt.
„Die Akademie hat sich niemals prinzipiell gegen das Frauenstudium ausgesprochen, sondern hat stets nur immer wieder auf den Umstand aufmerksam gemacht, daß mit den schon jetzt stark belasteten Lehrkräften in den sehr beengten Schulräumen, die jetzt zur Verfügung stehen, diese Neueinführung schwer durchführbar wäre.“ (10)
„Frägt man nun, wie sich die Verhältnisse nach Zulassung der Frauen gestalten werden, so kann man schon heute voraussagen, daß sich der Andrang vervielfachen dürfte, und daß man daher bei einer auch noch so strengen Aufnahmsprüfung die Gesamtzahl der Aufzunehmenden würde erhöhen müssen.“ (11)
Das endgültige Dokument, das die Zulassung von Frauen regelt, datiert den 14. Juni 1920 ist relativ unspektakulär: das Staatsamt für Inneres und Unterricht genehmigt in wenigen Worten die Zulassung von Frauen zum Akademiestudium ab dem Studienjahr 1920/21. (12)
VA 1920 Zl. 645 Schreiben des Unterrichtsministeriums an das Rektorat der Akademie der bildenden Künste Wien mit der Genehmigung der Zulassung von Frauen zum Studium. © Universitätsarchiv
1927 dann stellt die Redaktion eines Frauenkalenders eine Anfrage an die Akademie, wie denn die Erfahrungen mit dem gemeinsamen Unterricht von Männern und Frauen seien. Nach der jahrzehntelangen Ablehnung werden nun plötzlich positive Erfahrungen hervorgehoben: Die Akademieleitung berichtet, dass die sich zum Studium an der Akademie bewerbenden Frauen durchwegs die gleiche Vorbildung aufweisen wie die männlichen Bewerber, und auch während des Studiums den gleichen Fleiß und Ernst wie ihre männlichen Kollegen zeigten, mehrere Frauen hätten auch schon akademische Preise erhalten. Und „Besonders erfreulich kann hervorgehoben werden, dass durch die Coeducation beider Geschlechter in gemeinsamen Räumen der Ton in den einzelnen Schulen nur gewonnen hat. … Zusammenfassend sei betont, dass unsere Erfahrungen mit dem Studium der Frauen in der Akademie der bildenden Künste durchaus günstige waren.“ (13)
Eva Schober, Leiterin des Universitätsarchivs der Akademie der bildenden Künste Wien
(1) Margarethe Poch-Kalous, Das Frauenstudium an der Akademie der bildenden Künste in Wien, in: 100 Jahre Hochschulstatut, 280 Jahre Akademie der bildenden Künste in Wien, Wien 1972, S. 204; ausführlich behandelt bei Barbara Doser, Das Frauenkunststudium in Österreich. 1870-1935, Dissertation Innsbruck 1988; siehe auch Almut Krapf, Zur Geschichte des Frauenstudiums an der Akademie der bildenden Künste Wien, https://www.akbild.ac.at/resolveuid/e457fb2bf2631e5fd063994e34d9c282.
(2) UAAbKW, VA 1871 Zl. 300. Hintergrund ist die Beschäftigung der k.k. Kunstgewerbeschule (heute Universität für angewandte Kunst Wien) mit dieser Frage, es geht hier im Speziellen um ein Schriftstück, das Rudolf von Eitelberger verfasst hat: Rudolf v. Eitelberger, Zur Regelung des Kunstunterrichtes für das weibliche Geschlecht, Mittheilungen VII, Nr. 78, 1.3.1872; siehe dazu Doser S. 222ff.
(3) UAAbKW, VA 1872 Zl. 43 und VA 1872 Zl. 104.
(4) https://fraueninbewegung.onb.ac.at/ ; Megan Marie Brandow-Faller, An Art of their own. Reinventing Frauenkunst in the Female Academies and Artist Leagues of Late Imperial and First Republic Austria, 1900-1930, Diss. Washington, D.C. 2010, S. 203ff.
(5) UAAbKW, VA 1904 Zl. 65. Das damit befasste Komitee besteht aus den Professoren Niemann, Heller, Griepenkerl, Unger und Bacher; Doser S. 228ff.
(6) Die Zeile „Die Kunstgeschichte kennt keinen weiblichen Namen von wirklich hervorragender Bedeutung.“ wurde in der Reinschrift an das Ministerium dann aber doch gestrichen.
(7) So z.B. 1907 eine erneute Anfrage von Krakauer Kunstschülerinnen, und in den Jahren 1911 bis 1913 Anfragen mehrerer Frauenvereine aus Böhmen und Mähren; Doser S. 238ff.
(9) UAAbKW, VA 1919 Zl. 744, vom 18.7.1919.
(10) UAAbKW, VA 1919 Zl. 1112, vom 29.1.1920.
(11) Diese Annahme stellt sich als unrichtig heraus, sowohl die Gesamtzahlen als auch der Anteil von Frauen unter den Studierenden erhöht sich in den folgenden Jahren nur allmählich; vgl. den Beitrag in unserer Serie „Archivist‘s Choice“, https://www.akbild.ac.at/resolveuid/c25838e06706e88a94bc112fccf510c9.
(13) UAAbKW, VA 1927 Zl. 293; Doser S. 263f.
Literaturhinweise:
Margarethe Poch-Kalous, Das Frauenstudium an der Akademie der bildenden Künste in Wien, in: 100 Jahre Hochschulstatut, 280 Jahre Akademie der bildenden Künste in Wien, Wien 1972, S. 204
Barbara Doser, Das Frauenkunststudium in Österreich. 1870-1935, Dissertation Innsbruck 1988
Almut Krapf, Zur Geschichte des Frauenstudiums an der Akademie der bildenden Künste Wien, https://www.akbild.ac.at/resolveuid/e457fb2bf2631e5fd063994e34d9c282
https://fraueninbewegung.onb.ac.at/
Schweiger, Werner J., Malschulen von und für Frauen (2000), ÖNB Ariadne 14.042 NEU KAT
Megan Marie Brandow-Faller, An Art of their own. Reinventing Frauenkunst in the Female Academies and Artist Leagues of Late Imperial and First Republic Austria, 1900-1930, Diss. Washington, D.C. 2010