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Željka Aleksić

Im Gespräch mit Barbara Pflanzner, Akademie Studio Programm, Creative Cluster, 30. April 2024.

In deiner künstlerischen Arbeit setzt du dich mit Fragen von sozialer Klasse und Kapitalismus auseinander und reflektierst, als jemand aus einer Arbeiterfamilie stammend, deine eigene Position in diesem System. Was hat dich schließlich dazu bewegt, Kunst zu studieren?

Ich stamme zwar aus einer Arbeiterfamilie, nehme aber eine sich verändernde soziale Landschaft wahr, in der traditionelle Klassenunterschiede zu verschwimmen scheinen. Stattdessen beobachte ich eine wachsende Kluft zwischen Wohlhabenden und Benachteiligten, wobei die Arbeiterklasse weniger definiert erscheint. 2014 ist mein Bruder Žarko Aleksić nach Wien gezogen, um an der Akademie zu studieren, und unsere Gespräche über sein Leben und seine Erfahrungen in Österreich haben mein Interesse geweckt. Zu diesem Zeitpunkt habe ich meine künstlerischen Ambitionen in Serbien verfolgt, allerdings nur als Hobby. Auf seine Anregung hin begann ich, ein Studium in Betracht zu ziehen. Er war eine wichtige Stütze und hat an mich geglaubt, selbst wenn ich es nicht getan habe. Unsere gesamte Familie teilt eine tiefe Verbundenheit, aber meine Beziehung zu meinem Bruder ist ganz besonders; er hat mir alles über Kunst beigebracht. Dank ihm habe ich begonnen, an meinem Portfolio und meiner Bewerbung für die Akademie zu arbeiten. 2017 bin ich nach Wien gekommen, um die Aufnahmeprüfung zu machen, mit der Absicht, danach nach Serbien zurückzukehren, um Englisch oder Deutsch zu lernen und gleichzeitig mein künstlerisches Repertoire zu erweitern. Ursprünglich hat mich aufgrund meines Interesses an neuen Medien die Fotografie angezogen, doch Martin Guttmann bemerkte, dass mein wahres Talent eher in der Malerei als in der Fotografie lag. Daraufhin wurde ich in Ashley Hans Scheirls Fachbereich für Kontextuelle Malerei und Monica Bonvicinis Fachbereich für Performative Skulptur eingeladen. Die Entdeckung, dass es überhaupt eine Klasse für Performative Skulptur gab, war eine Offenbarung für mich. Nach einem Gespräch mit Ruby Sircar ergriff ich jedoch begeistert die Gelegenheit, Kontextuelle Malerei zu studieren. 

Du hast dein Studium bei Despina Stokou 2023 mit der Arbeit Das Kapital abgeschlossen, in der du die wirtschaftlichen Voraussetzungen zeigst, die notwendig sind, um überhaupt Kunst studieren zu können. Dafür hast du den Preis der Akademie erhalten. Wieviel kostet es also, Künstlerin zu werden?

Es ist sehr teuer. Jetzt erst fühle ich mich in der Lage, darüber zu sprechen, denn der Abschluss des Studiums hat bedeutende Veränderungen sowohl physisch als auch mental mit sich gebracht. Hätte man mich vor drei Jahren gefragt, hätte ich mich eher als Studentin denn als Künstlerin bezeichnet, weil ich mich nicht als solche gefühlt habe. In erster Linie habe ich mich als Studentin der Akademie der bildenden Künste Wien gesehen, die in einer Bäckerei arbeitet und zusätzlich noch andere Jobs hat, wie in einem Café, als Reinigungskraft oder als Fotografin. Nach meinem Abschluss habe ich aber begonnen, mich als Künstlerin zu präsentieren, weil ich nun wirklich glaube, dass dies der Wahrheit entspricht. Das Kapital beschreibt meinen Weg vom Moment meiner Ankunft in Wien bis zum letzten Tag meines Studiums. Der Preis dieses Buches beträgt 54.312,00 Euro. Das mag übertrieben erscheinen, aber es entspricht meinen gesamten Einkünften während meines Aufenthalts in Wien, die ich für Lebenshaltungskosten wie Miete und andere notwendige Ausgaben verwendet habe. Ich habe diesen Preis gewählt, um zum Nachdenken über die tatsächlichen Kosten, Künstler_in zu werden, anzuregen. Geht es nur ums Geld oder auch um Erfahrung? In der heutigen kapitalistischen Gesellschaft nimmt Geld oft den Vorrang ein. Auch wenn ich Geld nicht mit ultimativer Erfüllung gleichsetzen möchte, erkenne ich doch seine Bedeutung für ein komfortables Leben an. 

Du hast deine alte Identität nun in eine neue Identität als Künstlerin umgewandelt. Wie wirkt sich das jetzt auf dich aus?

Seit meinem Diplom haben sich die Dinge leicht verändert, da ich nun ein Gefühl verspüre privilegiert zu sein. In Bezug auf meinen rechtlichen Status habe ich sechs Jahre lang mit der MA 35 um meine Position in Österreich gekämpft und bei Anträgen oft Diskriminierung erlebt. Ich glaube jedoch, dass sich dies ein wenig geändert hat, besonders nachdem ich den Akademiepreis erhalten und die Möglichkeit bekommen habe, meine Arbeiten in der Kunsthalle Wien auszustellen. Die Situation hat sich für mich etwas verbessert. Ich bin als Künstlerin sichtbar geworden, aber als Arbeiterin unsichtbar. 

Dieses Zusammenspiel zeigt sich beispielsweise in einer Arbeit, die eigens für die Ausstellung Brotlos im Wien Museum entstanden ist. Kannst du uns mehr über speziell dieses Werk erzählen?

Zu Beginn meines Aufenthalts in Österreich wurde oft vermutet, dass ich als Künstlerin aus Serbien mich in meiner Kunst mit Kriegsthemen auseinandersetze. Dieses Missverständnis hat mich dazu veranlasst, über meine eigenen Umstände nachzudenken, da ich mich unvorbereitet gefühlt habe, ein so sensibles Thema zu behandeln. Obwohl ich aus einem Land mit vielen Problemen komme, fehlt mir die direkte Erfahrung mit diesem speziellen Thema. Als der Kurator der Ausstellung Brotlos an mich herangetreten ist, habe ich bereits drei Jahre lang in einer Bäckerei gearbeitet. So bin ich auf die Idee gekommen, Roggenbrot auszustellen. Anders als in Serbien, wo meist Weißbrot konsumiert wird, hat Roggenbrot hier in Österreich eine kulturelle Bedeutung. Zudem habe ich als Reinigungskraft in zwei Wohnungen im 18. Bezirk gearbeitet. Ich selbst wohne im 15. Bezirk, einem überwiegend von Migrant_innen bewohnten Stadtteil, im Gegensatz zum 18. Bezirk, in dem eher wohlhabendere Menschen leben. Mir ist aufgefallen, dass bestimmte Produkte in den nahegelegenen Billa- oder Penny-Filialen mit Diebstahlsicherungen versehen sind, anders als im 18. Bezirk. So bin ich auf die Idee gekommen, Roggenbrote zu fertigen und sie mit einer Diebstahlsicherung zu versehen. Obwohl Wien in den letzten zehn Jahren wiederholt zur lebenswertesten Stadt Europas gewählt wurde, sind auch hier die Lebenshaltungskosten enorm gestiegen, während die Einkommen gleichgeblieben sind – zumindest in meinem Fall. Diese Installation soll nicht nur meine tägliche Arbeit veranschaulichen, sondern auch den Kontext dahinter. 

In der Kunsthalle Wien präsentierst du derzeit drei Arbeiten, die sich jeweils auf unterschiedliche Weise mit deinem Alltag auseinandersetzen. 

Genau, in der Ausstellung in der Kunsthalle Wien zeige ich drei Kunstwerke: eine Performance mit dem Titel GLEDAJ MAJKU, BIRAJ ĆERKU-KORENJE [Schau auf die Mutter, wähle die Tochter – Wurzeln], die Arbeit Das Kapital und eine neue Installation namens Numinous Toy. Besonders wichtig ist mit die Performance, da sowohl meine Mutter als auch meine Großmutter daran beteiligt sind. Obwohl ich sie bereits 2019 mit meiner Mutter gezeigt habe, finde ich sie jetzt bedeutender, da ich mehr Erfahrung habe und meine Großmutter einbezogen ist. Darüber freue ich mich sehr, denn beide Frauen sind und waren eine große Unterstützung in meinem Leben. Die Performance konzentriert sich auf unsere Hände, insbesondere auf unsere Finger. Wir alle drei leiden am Karpaltunnelsyndrom, das zwar biologisch bedingt ist, aber durch manuelle Arbeit verschlimmert wird. Der Name der Performance ist von einer kitschigen serbischen Show vor zehn Jahren inspiriert. In dieser Show gingen Männer auf der Suche nach einer Beziehung auf Dates mit drei Müttern und wählten basierend auf deren Interaktionen eine ihrer Töchter als potenzielle Ehefrau aus. Zusätzlich zeige ich eine Skulptur, die auf der einen Seite mit smaragdgrünem Plüsch, das beruhigend auf die Augen wirkt, bezogen ist, und einem Badezimmer auf der anderen. Das Badezimmer ist ein sehr persönlicher Raum und symbolisiert Schönheit und Selbstfürsorge. Dies hat mich dazu inspiriert, Zeichnungen aus Haarsträhnen, die ich verloren habe, anzufertigen. Ich wollte der persönlichen Wahrnehmung meines Aussehens eine Außenperspektive gegenüberstellen. Ebenfalls habe ich einen Spiegel in die Installation integriert – ein für mich wesentliches Element.

Als jemand aus einer kleinen Stadt in Serbien, wo die Menschen sehr neugierig sind, empfinde ich den Spiegel besonders treffend. Durch seine Reflexion lade ich die Betrachtenden der Skulptur ein, sich zu fragen: „Wer bin ich, wer bist du?" – genau wie ich mich jeden Tag frage. In dieser Hinsicht nehmen meine Kunstwerke häufig einen performativen Charakter an. Als ich mit der Arbeit an Das Kapital begonnen habe, dachte ich darüber nach, wie unsere beruflichen Rollen unsere Selbstwahrnehmung und -präsentation beeinflussen. Mir ist klar geworden, dass unser äußeres Erscheinungsbild oft die inneren Veränderungen widerspiegelt, die durch unsere Berufe hervorgerufen werden. Diese Erkenntnis ist mir besonders aufgefallen, als ich über meine eigenen Erfahrungen nachgedacht habe. Zum Beispiel habe ich während der Reinigungstätigkeit selten über meinen Karriereweg nachgedacht; aber in Berufen, in denen Kundenkontakt wichtig ist, wie dem Service in der Bäckerei, wurde das Auftreten entscheidend. Es ist faszinierend, wie unterschiedliche Umgebungen dem Erscheinungsbild verschiedene Bedeutungen beimessen und nicht nur beeinflussen, wie wir von anderen wahrgenommen werden, sondern auch, wie wir uns selbst sehen. 

In deiner Heimatstadt in Serbien hast du das Zentrum für Kultur und Kunst K019 gegründet. Was wird dort ausgestellt und worauf liegt der Fokus seines Programms?

In erster Linie waren wir als Verein organisiert und haben den Schwerpunkt auf Neue Medien und Fotografie gelegt. Wir haben mit großem Enthusiasmus begonnen, Fotokurse für lokale Jugendliche angeboten und Filmscreenings organisiert. Allerdings hat sich alles als herausfordernder als erwartet erwiesen und ich habe daher mein Engagement eingeschränkt. Deshalb bin ich derzeit nicht bereit, den Verein weiterzuführen, da ich es für wichtiger halte, meiner künstlerischen Praxis Vorrang zu geben. 

Nach dem Abschluss von zwei bedeutenden Projekten mit Ausstellungen in der Kunsthalle Wien und im Wien Museum – was kommt als Nächstes? 

Zurzeit habe ich viele bevorstehende Projekte, was ich als eine schöne und positive Veränderung empfinde. Derzeit bereite ich eine Performance und ein Kunstwerk für dasweissehaus vor. Außerdem freue ich mich sehr auf meine erste Residency an der WHW Akademija in Kroatien. Am 1. Mai beginne ich offiziell mein Leben als Künstlerin. Inspiriert von Mladen Stilinovićs Arbeit The Artist at Work, in dem er schlafend gezeigt wird, präsentiere ich die Arbeit The Artist at Rest. Es fühlt sich wie ein Urlaub an, nicht in der Bäckerei zu arbeiten, obwohl ich während der WHW Akademija natürlich künstlerisch tätig sein werde. Zusätzlich reise ich nach Slowenien für eine Ausstellung im Rahmen der Ljubljana Art Week.