Nils Frederik Neuböck
Im Gespräch mit Barbara Pflanzner, Akademie Studio-Programm, Creative Cluster, 19. März 2024.
Du hast an der Akademie Architektur studiert und dich in Projekten während deines Studiums mit Themen beschäftigt, die im sich verändernden Klima immer wichtiger werden. Welche Themen sind das?
Ja, du hast recht, im Masterstudium hat sich für mich herauskristallisiert, dass ich einen Fokus auf den eigenen Umgang mit klimatischen Veränderungen setzen möchte. Im Zuge des IKA-Jahresprojektes Hitze Takes Command (2020/2021) habe ich beispielsweise ein Konzept vorgeschlagen, wie man mit nur einem Ofen im Wald wohnen und gleichzeitig eine instabile Fichten-Monokultur wieder zu einer klimaresilienten Landschaft transformieren könnte. Die Idee sah vor, dass jeden Tag eine Fichte geschlägert werden muss und nur die Energiemenge dieses Baumes als limitierte Energie-Ressource zur Verfügung steht – ein „Lumberjack in Residence“-Programm sozusagen, das interessierten Menschen einen veränderten Umgang mit normativen Komfort und einen tiefgehenden Kontakt mit sich selbst erlauben würde. Ob das in der Realität funktionieren würde oder nicht, kann man nur sagen, wenn man es ausprobiert hat. Die Ausgangsbasis war, dass Architektur nicht mehr ein geschlossener Raum sein muss, wie wir es in Mitteleuropa kennen, sondern Wohnbereiche graduell geöffnet werden und die Wärme etwa rund um einen Ofen entsteht. Sprich, wenn ich näher an der Quelle bin, ist es wärmer, wenn ich weiter weg bin, ist es weniger warm. Und so sind viele Fragen aufgetaucht: zu Komfort, zu Sinnhaftigkeit, zu möglichen Vorteilen, zu sensorischen Erlebnissen, zu Naturverbundenheit und dazu, wie ich insbesondere als Städter Natur erleben kann. Wenn ich in einem geschlossenen Raum sitze und draußen regnet es, bekomme ich davon nichts mit. Wenn ich das Fenster aufmache, habe ich sofort eine gewisse Verbindung mit dem Außenraum und kann, und muss auf das Wetter, die Natur, den Geruch, den Lärm oder die zwitschernden Vögel reagieren. Diese Überlegungen standen am Beginn von mehreren Projekten, die ich bis zum Diplom auf verschiedenen Ebenen, aber immer mit denselben Fragestellungen erforscht habe.
Zwei davon sind etwa das Projekt Against Worldlessness (2021) oder deine Diplomarbeit Report From Outer Space (2021/22), in der du dich mit der Möglichkeit einer geothermisch aktivierten Landschaft beschäftigst, in der Architektur keine Hülle mehr hat bzw. benötigt. Worum geht es in diesen beiden Projekten konkret? Und wie ist in diesem Zusammenhang deine Sichtweise auf Architektur?
Against Worldlessness illustriert eine Art Kommune, eine Gemeinschaft von Menschen, die bereit sind, für eine gewisse Zeit gemeinsam an der frischen Luft zu leben. Die von Helmut Richter erbaute Schule am Kinkplatz in Wien Penzing sollte ja abgerissen werden und um dies zu verhindern, sieht das neue Konzept vor, das Gebäude mit Hilfe von Geothermie zu aktivieren und wieder nutzbar zu machen, ohne wesentliche Eingriffe in die Bestandssubstanz vorzunehmen. Die These ist, dass viele Bauten adaptiert und gerettet werden könnten, wenn die Nutzer_innen akzeptieren würden, dass etwa im Innenraum die Temperatur oder Luftfeuchtigkeit nicht immer konstant und manchmal vielleicht ein leichter Zug zu spüren oder hören ist. Ich glaube, dass mehr Resilienz und Anpassungsfähigkeit der Nutzer_innen von Gebäuden neue und spannende Möglichkeiten in der Architektur eröffnen würde. Wie wir leben und bauen ist letztendlich eine kulturelle Sache. Das japanische Klima ist beispielsweise zwar gemäßigter als bei uns, aber grundsätzlich nicht komplett verschieden. Trotzdem haben die Japaner_innen einen gänzlich anderen Zugang zu Offenheit in der Architektur, etwa mit Shoji – Wänden aus Papier. Die Frage ist: Müssen wir immer so weitermachen, wie wir es aktuell tun? Oder wäre es für das Klima und aus umwelttechnischen Gründen vorteilhafter, zu überdenken, was wir tun und vielleicht sogar eine gewisse kulturelle Veränderung anzustreben? Meinem Eindruck nach wird zurzeit viel über CO2-neutrales Bauen, Rezyklierbarkeit, Energieoptimierung, Passivhausstandards geforscht. Das ist auch wichtig, aber es setzt gleichzeitig immer voraus, dass wir uns im Verhalten eigentlich überhaupt nicht ändern wollen. Beziehungsweise schotten wir uns immer weiter von der Umwelt ab, weil die Häuser immer hermetischer abgedichtet werden. In diesem Sinne geht es mir weniger darum, dass man die Architektur verbessert, sondern darum, dass man die Leute dazu anregt, eine kulturelle Veränderung anzustoßen oder zu hinterfragen, ob die Art und Weise, wie wir unseren Alltag gestalten, unbedingt so sein muss.
Im Projekt Ways of Knowing (Myself) untersuchst du, wie ein Körper in Beziehung zu seiner Umgebung steht. Wie hast du das Thema analysiert und gibt es Ergebnisse deiner Recherche?
Das Projekt versucht die Ambivalenz zwischen empirischen Daten und höchstpersönlichen Erfahrungen zu untersuchen und zu dokumentieren. Zum Beispiel habe ich dafür bei meinem Fenster je einen Sensor innen und einen außen angebracht, der die Temperatur kontinuierlich gemessen hat. Die fast unsichtbare Glasscheibe dazwischen macht einen grundlegenden Unterschied – das ist eigentlich logisch, aber wenn man sich einmal vor Augen führt, dass außen im Tageszyklus 15 oder 20 Grad Unterschied sind und innen nur ein bis zwei, dann wird er erst sicht- und beschreibbar. Bei diesen Studien ist es mir weniger darum gegangen, empirisch genau ein Resultat zu erzielen, sondern eher ums Aufzeigen, auch anhand des eigenen Körpers. Dafür habe ich zum Beispiel an verschiedenen Stellen meiner Haut die Temperatur gemessen, nachdem ich etwas Bestimmtes gemacht habe oder einer bestimmten Umgebung ausgesetzt war.
Ist das auch ein Thema, das im Projekt Studiolo (My Body Has Become A Heat Exchanger) zum Tragen gekommen ist?
Ja, Studiolo – als solcher wird ein dem Studium und der künstlerischen Beschäftigung gewidmeter Raum bezeichnet – war im Endeffekt die Vermischung dieser beiden Aspekte. Das Studiolo war inspiriert vom traditionellen japanischen Kotatsu – einem Tisch mit einer darunter befindlichen Wärmequelle und einer dicken Decke darüber –, was mir das Arbeiten und Ausruhen an der frischen Luft ermöglicht hat. Der Tisch ist für etwa drei Monate über den Winter im Innenhof der Akademie gestanden. Ich habe einige Abende und Nächte an ihm verbracht. Die Idee war, dass man die Temperatur der Umgebung misst, der man ausgesetzt ist, während man am Kotatsu arbeitet oder drüber nachdenkt und beschreibt, was man fühlt. Diese Gegenüberstellung ist interessant, weil das, was die Sensoren beschreiben, im Endeffekt alles bedeuten kann: Wenn eine andere Person darinsitzt, sind die Daten vielleicht ident mit meinen, aber sie fühlt sich ganz anders. Wenn es draußen kalt ist, geht man normalerweise schnell ins warme Innere oder umgekehrt sucht man, wenn es draußen heiß ist, einen kühlen Platz auf. Beim Studiolo hat man warme Füße, aber einen kühlen Kopf. Man wird im Endeffekt selbst zum Wärmetauscher.
Zu Beginn des Studio-Programms hattest du geplant, dein persönliches Archiv auf deiner Webpage oder einem Blog sichtbar zu machen und auf eine mögliche Selbstständigkeit hin zu arbeiten – du bist ja aktuell auch in einem Wiener Architekturbüro tätig. Wie geht es dir denn mit diesen Vorhaben?
Ja genau, daran arbeite ich immer noch. Meine Mitarbeit im Architekturbüro ist punktuell sehr intensiv, wodurch der Tag manchmal einfach zu kurz für das ist, was man alles machen möchte. Die Webseite ist gerade in Arbeit. Ich habe dafür auch meine Projekte, insbesondere das Diplom, aufgearbeitet. Für mich ist das Studio ein bisschen ein erweitertes Wohnzimmer. Ich wohne nämlich auch gleich ums Eck und kann mit meinen Hausschuhen hierherkommen. Ich versuche, ein Gegengewicht zur Büroarbeit am Computer zu finden. Deshalb probiere ich wieder mehr Handwerkliches aus, auch weil man hier einfach die Möglichkeit dazu hat. Daneben habe ich erst kürzlich ein Konzept für einen Wettbewerb eingereicht und arbeite gerade an einer anderen Projekteinreichung. Ich habe immer die Idee gehabt, ein Projekt für Kunst im öffentlichen Raum zu entwickeln, das zu gewissen Jahreszeiten einen sozialen Treffpunkt in der Stadt ermöglicht, analog zu einem Kachelofen im Winter oder einem kühlen Schattenspender im Sommer. Ich habe das einmal während eines Arbeitsaufenthaltes in Lissabon erlebt, wo es in unserem Büro extrem kalt war und wir mit Jacke und Haube arbeiten mussten. Irgendwann im Dezember hat der Chef ein Heizgerät in die Mitte gestellt und wir haben uns in den Pausen immer rundherum versammelt und Kaffee getrunken, die Kommunikation wurde dadurch viel besser. Solche Momente beschreiben, dass soziale Events durch ungewohnte Umstände durchaus forciert werden können.
In deinem Studio steht aktuell ein Objekt, das aus einzelnen Teilen eines Rohres zu bestehen scheint – um was handelt es sich dabei?
Aktuell finde ich das Thema Stapeln interessant. Diese Papierrollen waren einmal als Schalung für eine Betonsäule gedacht. Betonsäulen sind eigentlich ein sehr rationales Element, die gibt es in jeder Größe – man stellt die Schalung hin, es wird Beton hineingegossen und fertig ist sie. Ich habe die Frage interessant gefunden, was es heutzutage bedeutet, wenn man von dieser Rationalität wieder ein bisschen wegkommt: Wo könnte man landen? Wie ich versucht habe, die einzelnen Teile zu lagern bzw. einfach nur hinzustellen, habe ich gemerkt, dass das gar nicht so einfach ist. Ich habe dann versucht, Verbindungselemente zu machen und bin draufgekommen, dass das geometrisch extrem komplex ist. Wenn man will, dass ein Teil leicht verdreht ist, wird es sofort schwierig, weil es in alle Richtungen hin verdreht ist – das ist ein geometrisches Problem. In diesem Sinn versuche ich Ansätze zu finden, die man vielleicht auch woanders wiederverwenden kann. Hier im Studio übe ich mich ein bisschen im freien Nachdenken über Dinge, zu denen ich sonst keine Zeit habe oder die ich sonst nicht machen kann.