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Chiara Bartl-Salvi

Im Gespräch mit Barbara Pflanzner, Akademie Studio-Programm, Creative Cluster, 21. März 2024.

Du bist bildende Künstlerin, Performerin und Choreografin. Hast du selbst einen Background im Tanzen?  

Ja, als ich sehr jung war hat mich meine Mutter zwei Mal in der Woche zum Tanzunterricht über die deutsche Grenze ins benachbarte Freilassing gefahren, wo ich Ballett und Jazzdance gelernt habe. Jedes Jahr gab es eine Aufführung, wodurch ich schon früh Bühnenerfahrung gesammelt habe. Später habe ich dort begonnen, Kinder im Alter zwischen acht und zehn Jahren zu unterrichten und mit ihnen meine ersten eigenen Choreographien einzustudieren, die dann bei diesen Aufführungen performt wurden. Meine erste Choreografie, die ich ihnen beigebracht habe, war zum Track Super Bass von Nicki Minaj. Das war eine tolle, prägende Zeit für mich. 

Das klingt, als wäre dein Werdegang als künstlerische Performerin sehr organisch gewachsen.   

Ja, genau. Während dieser ersten beruflichen Erfahrung war ich auch Teil des Tanzfachs am musischen Gymnasium in Salzburg. Dort gab es jedes Jahr die „Tryouts“, das war ein choreografisches Format, bei dem man eine Choreografie erarbeiten und sie auf großer Bühne, nämlich der Arge Kultur, vor Publikum präsentieren musste. Für meine Abschlussarbeit habe ich mit den beiden Performern Alexandros Greco und Luis Garcia aka „Fruta“ vom SEAD Salzburg gearbeitet, wodurch ich zum ersten Mal mit zwei professionellen Tänzern kooperiert habe. Das war eine Erfahrung, die meine künstlerische Entwicklung stark beeinflusst hat. 

In deiner künstlerischen Arbeit verbindest du verschiedene Tanzstile miteinander, etwa integrierst du klassische Tanzelemente wie den Stepptanz. Kannst du erklären, wie dein Zugang zu deinen Performances ist? 

Mein künstlerischer Ansatz vereint Bewegung und Klang zu einer symbiotischen Beziehung, die verschiedene Tanzstile und Klänge bewusst kontrastiert. Ich möchte in meinen Performances dazu einladen, diese Beziehung, die nicht nur im Bereich der Choreografie, sondern auch im alltäglichen Leben als selbstverständlich erscheint, zu hinterfragen. Seit Jahren beschäftige ich mich intensiv mit dem Steppschuh als Medium und klangerzeugende Körper-Prothese. Die Performance 1,2 Step (until the loop ends) nutzt den Steppschuh als Ausgangspunkt des choreografischen und klanglichen Materials. In dieser Arbeit befasse ich mich mit Fragen von Reproduzierbarkeit, Autor_innenschaft und viralen Trends in der heutigen Medienlandschaft, genauer, wie Bewegungen und Sound in diesem Kontext reproduziert und interpretiert werden. Die Zusammenarbeit mit Sound-Künstler_innen spielt dabei eine zentrale Rolle. 

Oft hat man das Gefühl bestimmte Bewegungsabläufe schon zu kennen, was daran liegt, dass sie ursprünglich aus Choreografien bekannter Popmusik-Videos stammen. Welche dieser Bewegungen und Bewegungsabläufe wecken dein Interesse? 

Ich lasse mich von Musikvideos, Live-Performances und Sounds von verschiedenen Künstlerinnen inspirieren, insbesondere von jenen, deren Arbeit ich seit Jahren verfolge. Dabei stehen für mich Künstlerinnen wie Beyoncé im Mittelpunkt, die mich aufgrund ihrer präzisen und gleichzeitig kraftvollen Bewegungen sowie ihrer starken Verbindung mit Rhythmus zweifellos am meisten inspiriert. Die Integration traditioneller Tanzformen, etwa Flamenco, in die Popkultur, wie es Rosalía tut, finde ich besonders bemerkenswert. Durch diese Verbindung schafft sie nicht nur eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, sondern auch zwischen verschiedenen kulturellen Welten. Auch Künstlerinnen wie FKA Twigs, Rihanna, Britney Spears oder die Pussycat Dolls haben auf ihre jeweils eigene Weise die Popmusiklandschaft und mich geprägt. 

Ich würde gerne auf den Sound zurückkommen, nachdem dieser in deiner Arbeit essenzieller Bestandteil ist. Kannst du skizzieren, wie dieser produziert wird?  

Üblicherweise nehme ich den Sound zuerst auf. Das heißt ich nehme die Steppschuhe und steppe einen Rhythmus ein. Dann gehe ich zu meinem Soundpartner, dem Künstler Paul Ebhart, mit dem ich schon lange und intensiv zusammenarbeite, ins Studio und nehme ihn professionell auf. Sobald ich eine Bewegung dazu erarbeitet und mit den Performer_innen ein paar Kanons ausprobiert habe, arbeitet Paul einen Kanon in den Ausgangs-Rhythmus ein. Zudem nehme ich entweder mit ihm oder mit meinem Kollegen Titus Probst immer auch einen kurzen poplastigen Track auf, bei dem ich selbst singe. Bei meinen Performances singe ich diesen live und oder er wird mit einer Loopstation geloopt. Bei meinen Performances ist der Loop immer auch deshalb dabei, weil das der einfachste Weg ist, aus einer Einstimmigkeit eine Mehrstimmigkeit zu schaffen. 

Du performst in deinen Stücken gerne mit anderen Performerinnen. Wie kann man sich den Entstehungsprozess eines Stückes vorstellen?  

Der Entstehungsprozess eines Stücks oder einer Performance kann sehr vielfältig sein und hängt von meinen spezifischen Vorstellungen und den Ideen und Personen hinter dem Projekt ab. Zum Beispiel habe ich 1,2 Step (Until the loop ends) alleine entwickelt und choreographiert und das Bewegungsmaterial im Anschluss mit meiner langjährigen Freundin Rebecca Rosa Liebing einstudiert. Was wir zusammen erarbeitet haben war die gemeinsame Begehung der jeweiligen Raumarchitekturen, um für die Performance den Weg durch den Ausstellungsraum oder die Galerie zu finden. Dieser gemeinsame Findungsprozess ermöglicht es uns, die Performance organisch an den spezifischen Raum anzupassen und die Interaktion zwischen uns Performerinnen zu stärken. Insgesamt ist Flexibilität und Zusammenarbeit ein zentraler Bestandteil in der Entstehung meiner Stücke, egal ob ich alleine arbeite oder mit anderen Performerinnen. 

Das heißt diese Arbeit ist speziell für den unmittelbaren Ort konzipiert?

Ja, genau. Die erste Edition 1,2 Step (Until the loop ends) war für den Kunstverein Eisenstadt konzipiert, wo wir eine Begehung durch die Architektur des Ausstellungsraums gemacht haben, beginnend vom ersten Stock über das Stiegenhaus ins Foyer und dann wieder den Weg hinauf in den Flur. Die zweite Edition war für die Außenstelle Kunst in Wien, die dritte fand bei Contemporary Matters in Seestadt statt und die vierte im Schiller Museum in Weimar. Mir war wichtig, dass Rebecca und ich auch auf die künstlerischen Arbeiten, die sich vor Ort befanden, eingehen. Deshalb haben wir immer genug Zeit eingeplant, um uns die Ausstellungen in den Institutionen in Ruhe anschauen zu können und um herauszufinden, welche Referenzen wir haben und welche wir finden können. 

Sowohl in deinem Diplomprojekt What else can we do but play? als auch in der Arbeit What remains for us but linger? sind Drehbühnen zentrale Protagonisten. Was interessiert dich denn am Zusammenspiel mit Objekten dieser Art und verändert sich eine Performance durch die Interaktion mit diesen?

Durch mein Kunststudium an der Akademie interessiere ich mich für klassischer Bühnentechnik und deren mechanische Charakteristika, insbesondere für Drehbühnen und deren historische Entwicklung. Ich habe gelesen, dass es im Volkstheater Wien noch bis in die 1980er Jahre eine Drehscheibe gab, die manuell von Bühnenarbeiter_innen bewegt wurde. Drehbühnen wurden entwickelt, um einen schnellen Bühnen- und Szenenwechsel zu ermöglichen. In meiner Diplomarbeit What else can we do but play? dient ein Kinderkarussell als Fundament und Bewegungsmechanismus für eine Drehbühne. Diese Performance begründete sich auf der institutionellen Unabhängigkeit, die sich durch die Covid-19-Lockdowns und den damit verbundenen Einschränkungen ergeben hat. Somit musste ich mich auf unsere Bewegungsmöglichkeiten im städtischen Umfeld konzentrieren und bin am Spielplatz als Begegnungszone und sozialen Erfahrungsraum, in dem Kinder ihre Körperwahrnehmung, ihre motorischen Fähigkeiten und ihr Sozialverhalten erkunden, fündig geworden. Mit einer mobilen Plattform aus Aluminium habe ich das Karussell im Weghuberpark in Wien zu einer Drehbühne transformiert und zum Schauplatz meiner Performance gemacht. Das Karussell befindet sich direkt gegenüber vom und mit Blick auf das Volkstheater, was ich als eine schöne Referenz empfinde. 

Mir ist aufgefallen, dass Kinder Spielgeräte gerne zweckentfremden und sie oft gar nicht so benutzen, wie sie eigentlich benutzt werden sollen. Ich finde das sehr spannend. Damit zusammenhängend habe ich mein choreografisches Arbeiten in Verbindung mit dem rotierenden Untergrund des Spielkarussels gesetzt, der die Eigenwahrnehmung der Performerinnen stark beeinflusst hat, da sie mit Empfindungen wie Schwindel, Fliehkraft, Schwerkraft und Orientierungslosigkeit umgehen mussten. 

Das choreographische Bewegungsmaterial für die Performance habe ich aufbauend auf das Gemälde Die Kinderspiele von Pieter Bruegel dem Älteren erarbeitet. Ich habe Szenen aus dem Gemälde in Gesten übersetzt und in die Performance eingearbeitet. In Bruegels Bild werden viele Kinder in ihrem Spiel gezeigt, wie sie Fangen spielen, tanzen, im Gänsemarsch laufen, wie sie mit Kreiseln, Windrädern und Puppen agieren und Gegenstände zweckentfremden, die so zu ihren Spielgeräten werden. Viele dieser Spiele sind uns bekannt, andere wirken eher wie Nachahmungen von Erwachsenen. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits den fertigen Entwurf und Plan der mobilen Dreh- und Hubbühne für die Performance What remains for us but linger?, die ich ursprünglich als meine Diplomarbeit umsetzen wollte, deren Produktion aufgrund von COVID-19 aber erschwert war. Somit hat das Karussell schließlich als ein Dummy dafür gedient. 

Mit dem angesprochenen Projekt What remains for us but linger? hast du im Februar 2024 Premiere im WUK gefeiert. Worum geht es in dem Stück und wie ist es gelaufen?

Zunächst möchte ich der Akademie danken, die dieses Projekt stark gefördert hat. Durch mein Stipendium für das Studio-Programm und das Mentoring-Programm konnte ich es erfolgreich umsetzen. Ein besonderer Dank gilt auch dem Creative Cluster, der es mir ermöglicht hat, den Turnsaal wochenlang für Proben zu nutzen. 

Die mobile Dreh- und Hubskulptur wurde über einen Zeitraum von vier Jahren im Kollektiv erarbeitet und 2022 fertiggestellt. Sie besteht aus einer sechseckigen Plattform, kann sich um ihre eigene Achse drehen und auf und ab fahren. Im Anschluss habe ich damit begonnen, die Performance zu erarbeiten, in der drei Performerinnen mit ihr interagieren und sie live während der Performance manuell oder mit einem Gaming-Controller steuern. Die Choreographie wurde unter Berücksichtigung der motorischen Möglichkeiten der Skulptur entwickelt. Der Titel What remains for us but linger? veranschaulicht zum einen das lange Warten, das mit der Entwicklung des Projekts während der Hochphase der Covid 19-Pandemie einherging, einschließlich der Herausforderungen bei der Beantragung von Fördermitteln und der Beschaffung von Materialien während diversen Lockdowns und Restriktionen. Zum anderen behandelt die Performance das Verweilen und den Prozess einer gegenseitigen Annäherung der drei Performerinnen in einem undefinierten Raum, ihre Routinen, Interaktionen und individuellen Geschwindigkeiten. Verschiedene Realitäten und Utopien existieren dabei simultan nebeneinander und vermischen sich miteinander. Mit der Arbeit möchte ich dazu einladen, über die Dynamik zwischen Körpern und Räumen, über die Wechselwirkungen zwischen Bewegung und Klang sowie über die Überwindung von Grenzen nachzudenken. Die Interaktion zwischen den Performerinnen und der Dreh- und Hub-Skulptur findet in drei Phasen statt: In der ersten wird die Skulptur rein durch die Kraft der Performerinnen angetrieben. Diese Phase verdeutlicht die direkte physische Kontrolle und die Interaktion der Performerinnen mit ihrer Umgebung. In der zweiten wird die Skulptur live von den Performerinnen über einen Gaming Controller gesteuert. Diese Phase markiert eine Veränderung hin zu einer technologisch vermittelten Interaktion. In der dritten Phase zeigt die Skulptur eine Choreografie, die zuvor auf den Controller geladen wurde. Diese Phase betont die Verschmelzung von menschlicher Kontrolle und automatisierten Prozessen – die Performerinnen behalten zwar die Kontrolle über das Gerät, jedoch auf eine Weise, die durch das Programm vordefiniert ist. 

Für die Arbeit an What remains for us but linger? brauchte es ein großes Team, das ich nicht unerwähnt lassen und dem ich auch meinen Dank aussprechen möchte: Patrick Winkler, Alba Rastl, Arno Gitschthaler und Felix Huber und ich haben gemeinsam an der Konzeption gearbeitet. Für die technische Umsetzung und Betreuung waren Arno Gitschthaler und Felix Huber zuständig. Die Performance auf der Dreh- und Hubskulptur ging von meiner Projektleitung aus, ich habe auch die Choreografie konzipiert und Regie geführt. Die Performerinnen waren Elena Francalanci, Rebecca Rosa Liebing und ich selbst. Paul Ebhart war für den Sound verantwortlich, Lukas Gschwandtner, Alba Rastl und Patrick Winkler haben das Bühnenbild gestaltet, die Lichtgestaltung wurde von Oskar Ott übernommen und Ada Karlbauer hat den Text verfasst. Besonders möchte ich mich bei den beiden wundervollen Performerinnen Elena und Rebecca bedanken, bei Patrick und auch bei meinem ehemaligen Mentor aus dem Mentoring-Programm, Michikazu Matsune. Sein Feedback und seine Hilfe habe ich sehr geschätzt. Ebenso möchte ich mich bei Andreas Fleck, dem Leiter von WUK Performing Arts, für die Einladung bedanken. 

In dem Fall konntest du den Studiospace gut nutzen, das freut mich! Nachdem dieses Großprojekt nun abgeschlossen ist: Gibt es bereits Pläne für die kommende Zeit? 

Was noch folgt? Ich weiß nicht. Natürlich ist nun ein Herzensprojekt zu Ende gegangen. Mein Wunsch wäre, jetzt ein bisschen damit zu touren. 2025 zeige ich ein Stück mit Leon Leder (Asfast) beim Rakete-Festival im Tanzquartier Wien und ich versuche nun, mich darauf einzulassen und mit der Recherche zu beginnen.