Die Kunst Kunst zu bauen - Über Baukunst, Vorstellungskraft und Spaß (Welcome to the Pleasuredome)
Vom Denkraum zum Weltraum und zurück zur Stadt. Fünf übergreifende Vorträge zu zeitgenössischen Fragestellungen und Herausforderungen in der Architektur zwischen akademischem Ernst und fordernder Intuition. Vortragsreihe "Das beschleunigt expandierende Universum der Architektur" von Hannes Mayer, Roland Rainer Chair 2014/15, im Wintersemester 2014.
Das beschleunigt expandierende Universum der Architektur steht für ein dynamisches Weltverständnis und stützt sich auf die Erkenntnis eines sich beschleunigt expandierenden Universums - die den Astronomen Saul Perlmutter, Brian Schmidt und Adam Riess 2011 den Nobelpreis einbrachte. Die Vortragsreihe sowie ihr Begleitseminar Syzygy widmen sich gegenwärtigen Weltbildern und dem Zeitgeist. Vorsichtiger formuliert fußt sie auf dem Versuch wesentliche Entwicklungen - Bewegungen- der Architektur unserer Zeit in ihren Beweggründen zu erfassen. Statt der Architektur wird eine Aussage Roland Rainers zur Grundlage der Vortragsreihe: "Der Ausgangspunkt jedes künstlerischen Schaffens muss aber das Bedürfnis, das Können, müssen die Mittel und Eigenschaften unserer Zeit sein." So verhandeln die Vorträge Tendenzen in der Architektur mit jenen in Wissenschaft, Gesellschaft, Technologie, Kunst, Natur, Medien, Philosophie, Geschichte und setzen sich zum Ziel mögliche katalytische Effekte aus dem Zusammenspiel zu entdecken und zu beschreiben.
Statt in der Vergangenheit nach den Fundamenten der Disziplin zu suchen, soll im ersten Vortrag die Geschwindigkeit und Heterogenität, die Komplexität und Wissenstiefe der rasant steigenden Teildisziplinen der Architektur als Realität der Gegenwart wahrgenommen werden. Angestrebt wird dabei eine Balance der Verführungen als Ergebnis der Verhandlung der Anziehungskraft wissenschaftlicher Erkenntnis und technischer Neuerungen mit der Poesie der Naturbetrachtung, der räumlichen Wirkungskraft und den sinnlichen Bedürfnissen des Menschen an die Architektur. Die Singularität heutiger Untersuchungen (Spezialisierung) wird durch das Sichtbarmachen von Zusammenhängen ergänzt und in diesem Sinne die Architektur als übergreifende Disziplin in ihrem Wesen gestärkt.
Entsprechend erweitern die Vorträge die übliche Kanzelansprache akademischer Vorlesungen indem sie deren inhaltliche Ernsthaftigkeit mit der Unterhaltsamkeit einer Fernsehshow hybridisieren. Durch Gäste, Ton, Bild und Bühne wird die eindimensionale Kommunikation und Wissensvermittlung dem Verständnis eines sich ausdehnenden Universums, eines komplexen Wissenskosmos, angeglichen.
Der zweite Vortrag widmet sich dem Verhältnis von Mensch, Architektur und Natur. Er betrachtet unter dem Begriff des Anthropozäns die vom Menschen gebaute Architektur als Ausdruck der Beziehung des Menschen als Teil der Natur zur Natur im Gesamten. Über Jahrtausende hinweg war es hierbei Aufgabe den Menschen vor der Natur zu schützen und noch Le Corbusier sah in der Natur einen Brutkasten für Krankheiten. Heute, angesichts eines trotz wachsendem Bewusstsein fortschreitenden Raubbaus an den natürlichen Ressourcen, heißt es vielmehr die Natur vor dem Menschen zu schützen, wie es der Philosoph Ludger Honnefelder ausdrückte.
Welche Gedanken lassen sich für die Architektur ableiten? Wenn der Mensch zerstört und schafft - auf welcher Seite ist die Architektur anzusiedeln? Darf sie sich als gestaltende Kulturleistung der Verantwortung entziehen? Lässt sich unter dem Eindruck aggressiver medialer Verbreitungsmechanismen überhaupt noch ernsthaft über diesen Themenkomplex in der Architektur nachdenken?
Angesichts der langen Geschichte des Verhältnisses von Mensch, Architektur, Natur und von Problemen, die sich nicht mehr aus der Welt schaffen lassen, lohnt sich ein Blick hinter die grünen Fassaden.
Der dritte Vortrag widmet sich einer Lebensaufgabe Roland Rainers und einem Grundbedürfnis. Ein jeder wohnt - doch wie?
Für die Epigonen der klassischen Moderne stand diese Frage im Zentrum Ihres Handelns und Denkens. Scharfe Logik, harsche Polemik aber auch konkrete Möglichkeiten zur Umsetzung bedeuteten, dass auch noch im 21. Jahrhundert auf die Modernen Modelle zurückgegriffen wird. Wien sei ebenso genannt, als ein Ort, der im europäischen Kontext eng mit dem vorbildhaften Wohnungsbau verknüpft wird. Es ist die Sicht auf die helle Seite der Medaille beispielhafter Architekturprojekte; die dunkle Unterseite lässt sich in den Bildern der Wohnwelten und Peripherien des neuen österreichischen Films erahnen. Decken diese Filme eine akzentuierte Realität auf, welche - zwischen den einzelnen Glücksfällen der Baukunst im Dienste der Bewohner - die Versäumnisse und Schwächen, mitunter das Fehlen einer Gesamtplanung für Land, Stadt und Raum offenbart? Oder ist es lediglich die grau verhangene Novembersicht trotz grellfarbiger Akzente in den Fassaden?
Im dritten Vortrag der Vortragsreihe zum beschleunigt expandierenden Universum der Architektur verknüpfen sich die Untersuchung der gegenwärtigen Zustände - seien es die Wechselwirkungen zwischen Land und Stadt, von Grundrissen und Planungsmitteln, von Baukultur und Urban Culture, von Segregation und Integration, von sozialem Wohnungsbau in Europa und von build social! in der Welt, vom Innenraum als Privatraum und dem Außenraum als kostbares Gemeingut, von Eigenbesitz und Sharing - mit den Spekulationen über die Ansprüche und Möglichkeiten von Morgen. Was ist realistisch und was sollte Realität werden?
Vortrag vier widmet sich der physischen Zusammensetzung der Architektur und den Denksystemen dahinter. Selbst wenn Yves Klein von der Luftarchitektur träumte und O.M. Ungers darin die Auflösung der Architektur verbildlicht sah, so widmet sich die Architektur doch stets dem Entwerfen und Planen. "Ihr ganzes Leben sind Menschen Plänemacher. Ich bin einer von Beruf" schrieb Richard Neutra in seiner Autobiografie auftrag für morgen.
Ohne jenen Auftrag entließ Rem Koolhaas aus seiner diesjährigen Biennale in Venedig. Lediglich der Hinweis, dass sich in den Elementen selbst die (junk) DNA und Information versteckt gibt Hinweise auf ein mögliches Werden der Architektur. Leistete entsprechend die Biennale eine Entschlüsselung, wie sie Francis Crick und James Watson für die Naturwissenschaften erforschten? Hier verweigert sich die Architektur eines einfachen Modells und Koolhaas selbst rettet sich in den undefinierbaren Junk. Entsprechend konkurrieren zahleiche Ideologien um die Deutungshoheit, widmet sich eine Gruppe dem kollektiven Selbstbau, eine weitere der digitalen Fabrikation, bauen die einen mit Stroh und die anderen Enzyme für die kontrollierte Zersetzung desselben.
Architektur ist eine Disziplin von großem Ernst. "Don't cry - work". Denn es erfordert Mühe aus einem Haufen Material nicht nur ein Gebäude sondern Architektur zu schaffen. Doch genügt harte Arbeit und profundes Wissen um aus einem Gebäude Kunst zu machen? Lässt sich dieser Prozess überhaupt erklären?
Ein Argument für die Ernsthaftigkeit: Architektur bestimmt unser Umfeld und ist unausweichlich. Daher hat Architektur staatsmännisch zu sein, selbstredend verbietet dies individuelle Launen. Dennoch kann gute Laune beim Entwerfen kaum abträglich sein. Ist der Spaß an der Sache jedoch schon ausreichend um aus dem bloßen Bauwerk Baukunst zu machen? Was macht die Kunst im Bauen so rar wenn man sich mit der Ersatzdroge Kunst am Bau nicht zufrieden gibt?
Das Wirtschaftsmagazin brand eins erklärte jüngst den Spaß zum unterschätzten Wirtschaftsfaktor. Bedeutet dies eine Renaissance von Spaß, Humor und Ironie in einer von wirtschaftlichen Notwendigkeiten stark geprägten Bauwirtschaft? So der Spaß denn kommt, was ist dann vorstellbar?
Für den letzten Vortrag in der Serie the accelerating expanding universe of architecture wagt sich Hannes Mayer auf den schmalen Grat gefährlicher Potenziale - Welcome to the Pleasuredome!
Zeitplan Vortragsreihe
Erster Vortrag | 20.10.14 | Vektoren der Zeit - Fragile Standbilder der Dynamik und die Balance der Verführung [Teenager moderner Eltern]
Zweiter Vortrag |10.11.14 | Das Anthropozän: Mensch / Architektur / Natur
Dritter Vortrag | 01.12.14 | Akkommodation - wie wohnen?
Vierter Vortrag | 15.12.14 | Von den Elementen zur Architektur: Kompositionen / Methoden / Ideologien
Fünfter Vortrag | 23.01.15 | Die Kunst Kunst zu bauen - Über Baukunst, Vorstellungskraft und Spaß (Welcome to the Pleasuredome)
Hannes Mayer (*1981 in Stuttgart) ist Architekt, Autor, Kurator, Lichenologe und Musiker. Vor seinem Ruf an die Akademie für Bildende Künste Wien als Roland Rainer Chair 2014/15 war er Direktor und Chefredakteur der Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur archithese. Parallel dazu unterrichtete er als Studio Master und Thesis Supervisor an der Bartlett School of Architecture, University College London und als Visiting Lecturer an der Uni-versity of Westminster Entwurfsklassen und Entwurfstheorie. Hannes Mayer ist als Kritiker und Vortragender ein häufiger Gast an europäischen Architekturschulen und ein erfahrener Moderator öffentlicher Veranstaltungen. Seine mehr als fünfzig Aufsätze zur Architektur und Entwurfstheorie erschienen in archithese, Architectural Design, a+u, trans sowie als Beiträge zahlreicher Bücher.
Hannes Mayer studierte Architektur an der TU Cottbus, TU Eindhoven und der Bartlett School of Architecture. Er arbeitete auf der Baustelle von Renzo Pianos Paul Klee Zentrum und als Architekt in Zürich und London. 2007 gründete er M-A-O/ architecture and optimism in London. Seine Arbeiten -- vom Dokumentarfilm über Obdachlosigkeit bis hin zum postdigitalen Entwerfen mit bildbasierten Vektorfeldern (Lichonic Architecture) - wurden im Kunsthaus Graz, Schauspielhaus Graz, HDA Graz, Kino Babylon Berlin, Architekturforum Zürich, auf der Architekturbiennale in Venedig 2010, der Fundación Arquitectura COAM in Madrid sowie in der Spitalfields Church London und während des Steirischen Herbst 2008 präsentiert. Er initiierte und organisierte eine Konferenzreihe zum Stand der Architektur in der Schweiz (Zürich 2012, Karlsruhe 2013, Basel 2014) und war für den Swiss Art Award 2014 nominiert. Mit seiner neuen Plattform unitedcircus erkundet er öffentliche Formate, welche die Intensität der Architekturdebatte durch Ton und Medien zu steigern versuchen (Theater Neumarkt, Zürich 2014).