Gendering eines Mediums. Frauen im fotografischen Gewerbe Wiens, 1860-1914
Ulrike Matzer
Dissertationsstipendiatin an der Akademie der bildenden Künste Wien | Abschluss-Stipendium des Doktoratszentrums 2015|16
Abstract
Anhand von fünf Fallstudien zu frühen Wiener Berufsfotografinnen untersuche ich das gendering des damals neuen Mediums. Die strukturelle Offenheit des Fotografischen und die lange Zeit herrschende Gewerbefreiheit erlaubte Frauen einen vergleichsweise einfachen Zugang zum Metier. Die ihnen damals zugeschriebenen „Geschlechtscharaktere“ ließen sich innerhalb des reproduktiven Mediums ins Produktive wenden, was besonders bei Porträts, Theaterfotografien und frühen Modeaufnahmen zum Tragen kam. Lange vor der Etablierung einer institutionalisierten Fachausbildung, zu der Schülerinnen in Wien erst 1908 zugelassen waren, bedurfte es anderer Formen der Aneignung. Untersucht wird nicht allein, welche Möglichkeiten das familiäre Umfeld bot, sondern auch, inwiefern Frauen von der Wissenskommunikation fotografischer Interessenvertretungen profitierten. Teils verdankten sich ihre Kenntnisse auch den gegen 1900 aufkommenden amateurfotografischen Kreisen. Inwieweit gerade diese Demokratisierung des Fotografischen parallel zur Professionalisierung der Fachausbildung Frauen von Nutzen war, wird ebenso genauer beleuchtet, wie die semantische „Feminisierung“ des Mediums um die Jahrhundertwende.
Über eine lokalhistorische Studie hinaus demonstriert meine Arbeit exemplarisch das Potenzial einer gender -analytischen Perspektive in der historischen Fotoforschung und Medienarchäologie. Anhand zahlreicher historischer Quellen werden bislang kaum beachtete Entwicklungen, Dynamiken und Brüche herausgestellt – womit ich mich kritisch-methodenreflexiv gegenüber etablierten Fotografie-Historiografien positioniere. Gestützt auf konkrete Bildbestände und biografisch-dokumentarisches Material ist meine Herangehensweise eine materialistisch-soziologische, die ich mit genealogisch-diskursanalytischen Methoden verbinde. Daneben erläutere ich auf einer Meta-Ebene die mit Forschungen zu diesem Thema verbundenen Schwierigkeiten. Ziel der Arbeit ist jedenfalls eine realistischere Bestimmung des Wirkens früher Fotografinnen – jenseits scheinbar unhinterfragt reproduzierter Topoi.
Bio
Ulrike Matzer ist derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin des Photoinstitut Bonartes in Wien. Zuvor war sie im Rahmen eines fotografiehistorischen FWF-Projekts an der Fotosammlung der Albertina engagiert und als künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie der bildenden Künste Wien, Klasse Kunst und Fotografie, sowie als Lehrbeauftragte für Gender Studies an der Kunstuniversität Linz tätig. Langjährige Kuratorin im Salzburger Kunstverein, zahlreiche Artikel und Kritiken im Bereich Fotografiegeschichte und -theorie, Mitherausgeberin und -autorin mehrerer fotohistorischer Publikationen, Literaturkritikerin und Übersetzerin aus dem Französischen.