Wilhelm Binder
Im Gespräch mit Barbara Pflanzner, Akademie Studio-Programm, Creative Cluster, 21. Mai 2024.
Deine künstlerische Praxis ist multidisziplinär. Wie würdest du sie selbst beschreiben?
Ich verfolge einen konzeptuellen Ansatz. Meistens beginne ich mit einer Idee und suche dann nach einem Medium, mit dem ich sie umsetzen kann. Oder ich nutze ein Medium, das besonders dazu geeignet ist, ein Gefühl, eine Idee oder ein philosophisches Konzept zu transportieren. Meine letzten Arbeiten sind aufblasbare Skulpturen aus Latex, im Grunde Hüllen, die mit Luft gefüllt werden. Für mich ist das ein Symbolbild für den Kapitalismus: Er höhlt alles aus, verkauft nur die Oberflächlichkeit und schlägt daraus Profit. Es gibt also immer einen Ausgangspunkt und ich versuche, ein Objekt zu finden, das die Idee widerspiegelt. Für das Projekt Queering the KHM habe ich beispielsweise die Figur der Minerva/Pallas Athene als Vorbild genommen. Sie ist für mich eine der eher queeren Göttinnen, eine Vorstreiterin sozusagen. Ich hatte geplant, dass sich diese Figur langsam aufbläst und wieder zusammenfällt – wie ein tiefer Atemzug – aber als ich es dann mit dem Blasebalg ausprobiert habe, sprang die Figur hoch und fiel gleich wieder in sich zusammen. So das hat das auch etwas Komödiantisches bekommen, gleichzeitig etwas Phallisches. Das hat mit der ursprünglichen Idee der Kapitalismuskritik nicht mehr viel zu tun, aber es gefällt mir, wenn sich die Ideen weiterentwickeln und ich noch mehr Möglichkeiten habe, an das ursprüngliche Konzept anzuknüpfen.
Welche Rolle spielen queere Themen in deinen Arbeiten?
Diese sind immanent, würde ich sagen. Ich arbeite auch sehr viel mit dem Queer Museum Vienna und im Zuge unserer Arbeit stellen wir uns ständig die Frage, was queer eigentlich bedeutet. Derzeit fasse ich alles sehr breit. Alles, was das Patriarchat angreift und kritisiert, ist für mich eigentlich schon queer. Es kommt aus der Beschäftigung mit abweichenden Identitäten, die die Heteronormativität einfach nicht leben. Da geht es um die Vielfalt von geschlechtlichen Identitäten, um sexuelles Begehren oder das Aufbrechen von Genderstereotypen und Binaritäten. Darum dreht es sich eigentlich ständig in meiner Arbeit.
Gibt es hier eine spezielle Arbeit, die du nennen kannst?
Ja, das ist schon eine ältere Arbeit, ein Poster, das es einmal unter dem Titel Plagiat und einmal unter Urheben gegeben hat. Es wird als Zitat präsentiert, wobei jedes Wort einen anderen Quellenbezug aus der Literaturliste hat: „Die Suche nach dem Geschlecht ist wie der Versuch, unser Spiegelbild in Dunkelheit zu ertasten." Allerdings ist das – auch wenn das Licht angeschaltet ist und es ein Spiegelbild gäbe – ein Ding der Unmöglichkeit. Ich verstehe die Diskussion nicht, dass es nur eine essentielle geschlechtliche Identität geben soll. Gleichzeitig weiß ich aber, dass es für viele Menschen wichtig ist, Begriffe wie Männlichkeit und Weiblichkeit als Zuschreibung zu haben und daraus auch Freude entsteht. Deswegen will ich das auch nicht grundsätzlich abgeschafft haben, sondern in meinem Kopf etwas anderes daraus machen.
Das Queer Museum Vienna hast du schon angesprochen: Was machst du da genau und welche Projekte sind dir besonders wichtig?
Das Queer Museum Vienna wurde von meinen ehemaligen Studienkolleg_innen Florian Aschka, Larissa Kopp, Berivan Sayici und Thomas Trabisch initiiert. Mit allen habe ich bereits im Vorfeld immer wieder in Projekten zusammengearbeitet, wie zum Beispiel bei Hotel Butterfly oder Friday Exit, das sehr von der Akademie unterstützt wurde. 2022 habe ich die Ausstellung Historisiert euch! im QMV kuratiert, die einen historisch-sozialwissenschaftlichen Überblick zu queerem Aktivismus in Wien gegeben hat. Der Wunsch war, eine Timeline zu kreieren und daraus ist dann eine Ausstellung entstanden, für die wir mit den beiden Künstler_innen Ari Ban und Carli Biller zusammengearbeitet haben. Beide haben das sehr toll umgesetzt, in einer DIY-Ästhetik mit Karton-Objekten zu verschiedenen Themen, die dadurch etwas Aktivistisches erhalten haben. Die Ausstellung war schlicht und trotzdem sehr eindrucksvoll, ein wirklicher Erfolg. Seither bin ich stärker im Team involviert. Das hat zeitlich auch gut zum Übergang von der Uni in die Selbstständigkeit gepasst.
Es hat ja auch einen gesellschaftlichen Mehrwert, mit so einer Plattform nach außen zu gehen und diese gesellschaftspolitischen Fragen zu verhandeln.
Genau, vor allem angesichts des Backlashs, der derzeit in Bezug auf LGBTQIA+-Rechte passiert. In vielen Ländern und auch in Österreich gibt es zum Beispiel Proteste gegen Veranstaltungen, die Drag Queens und Kinder betreffen. Zumindest auf der rechtlichen Ebene hat sich in Österreich bereits viel getan, gleichzeitig gibt es noch einige Dinge zu erkämpfen. Man merkt aber, dass es einen großen gesellschaftlichen Rückhalt gibt und die Gegenstimmen eher vereinzelt und laut sind.
Man findet dich sowohl unter deinem Namen Wilhelm Binder als auch unter deiner Persona Willa Binda. Wie ist diese entstanden und inwiefern spielt Willa Binda in der Kunst von Wilhelm Binder eine Rolle?
Mein Zweitname beziehungsweise meine Persona, Willa Binda, ist eigentlich ganz natürlich gewachsen. Ich habe den Namen übernommen, weil meine Schwester, die lieber eine Schwester haben wollte, mich als Kind scherzend Willa genannt hat, um mich zu ärgern. Ich sehe das als eine queere Aneignung von einem ursprünglich abwertenden Wort. Ich weiß aber natürlich, dass meine Schwester das damals nicht so gemeint hat. Es freut mich, wenn ich manchmal als Willa angesprochen werde, weil ich dann merke, dass ich verschiedene Beziehungen habe und diese Beziehungen verschiedene Perspektiven ergeben. Dort, wo ich Willa bin, fühle ich mich sehr wohl. Wenn mich jemand als Willa kennt, weiß ich, dass diese Person mein künstlerisches Schaffen wahrnimmt. Ich lasse diesem Namen gleichzeitig auch ein bisschen ein Eigenleben – manchmal verwende ich ihn bei Auftritten, mal wieder nicht. Wilhelm Binder und Willa Binda sind für mich eigentlich synonym. Es ist bei Drag oft so, dass sich die Identitäten irgendwann vermischen. So eine Persona ist auch ein Selbstwert-Booster – in Drag kann man alle Zweifel und Sorgen fallen lassen und dieses Selbstbewusstsein überträgt sich auf das alltägliche Leben, sodass man auch ohne Perücke oder Make-up plötzlich dieses Selbstvertrauen hat. In diesem Sinne nimmt Willa Binda ein sehr performatives Element in Wilhelm Binders Kunst ein.
In deinem Studio befinden sich aktuell ziemlich viele Schachteln und Boxen mit Textilien. Was hat es denn damit auf sich?
Das kommt von meiner Leidenschaft fürs Nähen und der Freude daran, Sachen entstehen zu lassen. Was Textilien angeht, bin ich fast ein Messie – ich kann einfach keine wegschmeißen. Ich arbeite gern mit diesem Material und möchte es noch stärker in mein künstlerisches Schaffen integrieren. 2020 habe ich etwa mit Florian Aschka an einem Projekt gearbeitet, für das wir Fahnen hergestellt haben und wir planen, es wieder aufzugreifen. Mir gefällt es, sich eine so traditionelle Ästhetik anzueignen, gleichzeitig bin ich sehr antinationalistisch eingestellt und könnte niemals stolz eine Österreich-Fahne schwenken.
Ich sehe das Studio auch als Ressource, die ich gerne kreativ teile. Kürzlich habe ich ein Reparatur-Café organisiert: Leute bringen ihre alten Sachen mit, kaputte Kleidung zum Beispiel, und wir sitzen zusammen, tauschen uns aus und reparieren sie gemeinsam. Dabei lerne ich auch neue Techniken von anderen, die sich besser auskennen, oder kann umgekehrt mein Wissen weitergeben. Das Format bereitet mir große Freude.
Was ist für die nächste Zeit geplant?
Mit Lena Kauer, die die Der Goldene Shit Agency betreibt, plane ich für Herbst eine Einzelausstellung. Ich möchte meine Arbeiten der letzten Jahre zeigen und bis dahin auch ganz neue Werke schaffen. Vielleicht wird es auch einen kleinen Shop geben, in dem man zum Beispiel die oben erwähnten Poster erwerben kann. Das ist gerade eine gute Motivation, denn wenn es einen festen Termin gibt, kann ich erst auch etwas erschaffen. Dafür bietet sich das Studio sehr gut an. Es ist das erste Mal, dass ich mir einen Raum und ein Refugium geschaffen habe, in dem ich mich wohl fühle und gerne arbeite.