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Jüdische Studentinnen an der Akademie der bildenden Künste Wien

In diesem Artikel werden exemplarisch die Einzelschicksale zweier Studentinnen jüdischer Herkunft an der Akademie der bildenden Künste Wien herausgehoben: Hanna Gärtner und Elisabeth Eisler.

Juden, oder, wie man damals sagte, Israeliten, wurden an der Akademie der bildenden Künste 1782, mit Erlass des Toleranzpatents durch Kaiser Joseph II., zugelassen, (1) Frauen öffnete die Akademie erst im Jahr 1920/21 ihre Tore.

Vor dieser Zeit bildeten sich Frauen in den Künsten durch (teuren) Privatunterricht fort, sie konnten ab den 1870ern verschiedene Privatschulen besuchen (2) oder an der 1897 begründeten Kunstschule für Frauen und Mädchen (unter anderen bei Tina Blau), der Kunstgewerbeschule (3) – der heutigen Angewandten – sowie an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt studieren. Mädchen aus dem liberalen jüdischen Bürgertum waren überproportional zum Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung an höherer Bildung interessiert. (4)

Laut Statistik des Wintersemesters 1922/23 besuchten 241 Studierende (davon zwölf jüdischer Konfession) die Akademie; von diesen 241 Studierenden waren 25 Frauen, davon wiederum drei Jüdinnen. (5) Hier sind allerdings Konvertiten (die später im Sinne der Nürnberger Rassengesetze als Jude galten) nicht mitgerechnet.

Exemplarisch seien hier zwei Einzelschicksale herausgehoben. (6)

Eine der ersten Frauen jüdischer Abstammung war die Bildhauerin Hanna Gärtner (1899–1948). Aus einer Arztfamilie stammend (7) und als Kind getauft, begann sie ihre Ausbildung in diesem als sehr unweiblich angesehenen Kunstzweig (8) an der Kunstgewerbeschule bei Franz Barwig und Joseph Breitner. 1920 trat sie in die Allgemeine Bildhauerschule, im WS 1924/25 in die Spezialschule für Bildhauerei Josef Müllner an der Akademie der bildenden Künste ein.

Originalschriftstück
Studienakt Hanna Gärtner, Deckblatt

In ihrem Abschlusszeugnis von 1929 hebt Müllner ihre „eigenartige Begabung“ und Vielseitigkeit (Arbeiten in Stein, Keramik, Holz) hervor. (9)

Originalschriftstück
Studienakt Hanna Gärtner, Zeugnis Prof. Josef Müllner

Hanna Gärtner gelang etwas, was Frauen meist verwehrt blieb (10) – ob ihre Verwandtschaft mit einer sehr prominenten Frau, der von Karl Kraus in seinen „Letzten Tagen der Menschheit“ massiv angegriffenen Kriegsberichterstatterin Alice Schalek (11) auf ihre Karriere Einfluss hatte, sei dahingestellt: Sie nahm an Ausstellungen teil, etwa des Künstlerhauses (12 ) (1926–1930) und des Verbandes bildender Künstlerinnen und Kunsthandwerkerinnen – dort z.B. 1930 mit einer Büste der Schauspielerin Hansi Niese (13) –, wurde 1929 Mitglied des Künstlerverbandes österreichischer Bildhauer, und es gelang ihr auch, Aufträge aus öffentlicher Hand zu lukrieren. Eine bekannte Arbeit ist das „erste plastische Werk von weiblicher Hand, das in Wien öffentlich aufgestellt wurde“ (14) : der Bärenbrunnen zwischen Julius-Popp-Hof und Herweghhof am Margaretengürtel in Wien. (15) Ein Zeitungsartikel, der im Universitätsarchiv bewahrt wird, erinnert an dieses Ereignis; ebenso fand Gärtners Winternitz-Denkmal in Kaltenleutgeben Niederschlag in den Medien.

Originalschriftstück
UAAbkW, VA 1928, Zl. 954, Zeitungsartikel Neue Freie Presse, Morgenblatt, 21.6.1928
Originalschriftstück
UAAbkW, VA 1929, Zl. 1217, Zeitungsartikel Neue Freie Presse, Abendblatt, 27.8.1929

Ihre Vielseitigkeit kam ihr zugute, Hollywood wurde auf ihre Filzpuppen, die Sportler oder Filmstars darstellten und auch als Auslagendekoration gefragt waren, aufmerksam; eine Bestellung erging 1937 an sie. (16)

Hanna Gärtner emigrierte wahrscheinlich 1933 nach Kalifornien, (17) wo sie von dem Zeitungsverleger William R. Hearst einen Auftrag für einen Brunnen für sein Simeon Castle erhielt; es handelte sich wieder um einen Bärenbrunnen, der 1940 fertiggestellt wurde. (18) Sie starb am 22.2.1948 in Los Angeles. (19)

Die Machtübernahme der Nazis im März 1938 hatte eine „Säuberungswelle“, auf die die Akademie sehr gut vorbereitet war, zur Folge. Es wurde ein Numerus clausus von zwei Prozent für inländische Juden festgelegt, älteren Studierenden sollte der Abschluss ermöglicht werden (da dieser die Emigration erleichtern konnte); eine besondere Rolle spielte die „Studentenführung“, die über die Aufnahme von Studierenden entscheiden konnte. (20) Im Sommersemester 1938 besuchten laut Statistik 150 Studierende die Akademie (davon 40 Frauen), (21) darunter vier Personen jüdischer Religion.

Originalschriftstück
Misc. 4/2, Statistik 1937/38

Diese Angabe deckt sich allerdings nicht mit der Zahl von allein sechs weiblichen jüdischen Studierenden, die sich mithilfe der Suche in der Datenbank zu Verena Pawlowskys Untersuchung zur Akademie der bildenden Künste im Nationalsozialismus (22) ergibt.

In dieser Untersuchung führt Verena Pawlowsky 18 Studentinnen an, die als Opfer des Nationalsozialismus anzusehen sind. Als Beispiel sei hier die Malerin Elisabeth Eisler genannt:

Elisabeth Eisler, geb. 15.5.1920 in Wien, ebenfalls aus dem gehobenen Bürgertum, studierte zuerst an der Wiener Frauenakademie und trat im WS 1941/42 in die Akademie, in die Allgemeine Malerschule unter der Leitung von Prof. Dimmel und Prof. Pauser, ein. Sie war römisch-katholisch getauft und galt als „Mischling 2. Grades“. Auf ihr Ansuchen um Bewilligung der Fortsetzung ihres Studiums erhielt sie folgende Antwort: „[...] Wie Ihnen bereits vor einigen Tagen mitgeteilt wurde, ist nach den jetzt bekannt gewordenen Bestimmungen das Hochschulstudium für Mischlinge nur mit besonderer Bewilligung des Reichserziehungsministeriums möglich. [...] Der Rektor.“ (23)

Originalschriftstück
UAAbKW VA 1941, Zl. 1044

Prof. Dimmel sprach sich (verhalten) positiv aus, das Rektorat nicht: „Zum Gesuche selbst bemerkt das Rektorat, dass wir keinen besonderen Wert auf eine ausnahmsweise Bewilligung des Gesuches für den Mischling legen.“ (24) Die Rolle der „Studentenführung“ illustriert die Äußerung der „Studentenführer“ (25) Jost Predan und Hermine Hauser: „An einer deutschen Hochschule, besonders an Kunsthochschulen können von seiten der Studentenführung keine Mischlinge aufgenommen werden“. (26) Eisler durfte ab dem Sommersemester 1942 nicht mehr studieren, sie erhielt das eingezahlte Unterrichtsgeld zurück. Im Sommersemester 1945, gleich nach Kriegsende, inskribierte sie erneut. Im neuen Studienakt ist als Grund für die Studienunterbrechung „lt. Nürnberger Gesetz Studienverbot“ vermerkt. Nach weiteren drei Semestern legte sie im Februar 1947 ihre Diplomprüfung ab (es wurden ihr Semester der Wiener Frauenakademie angerechnet). Sie arbeitete als Keramikkünstlerin und erhielt öffentliche Aufträge, etwa Mosaik-Hauszeichen für verschiedene Gemeindebauten. (27) Elisabeth Eisler starb 1976 in Wien. (28)

Von den 18 Studentinnen, die sich in der Datenbank http://ns-zeit.akbild.ac.at als „Geschädigte“ herausfiltern lassen, kehrten drei nach dem Krieg an die Akademie zurück, neben Elisabeth Eisler noch Margarete Bolza und Erika Millet. Der Professorenstand, den sie vorfanden, hatte sich im Vergleich zur Vorkriegszeit kaum verändert – mit Gerda Matejka-Felden war allerdings eine Frau in den Lehrkörper eingetreten.

Ulrike Hirhager, stv. Leiterin des Universitätsarchivs der Akademie der bildenden Künste Wien

Fußnoten:

1 Zu den ersten jüdischen Schülern bis 1848 vgl. Ulrike Hirhager, Jüdische Schüler an der Akademie der bildenden Künste Wien 1782 bis 1848, Projektbericht H-2420/2009.

2 Sabine Plakolm-Forsthuber, Künstlerinnen in Österreich 1897–1938. Malerei. Plastik. Architektur. Wien 1994, ein Überblick zu den Privatschulen auf S. 45ff.

3 Wo sie allerdings auch von etlichen Restriktionen unterlagen, vgl. dazu Plakolm-Forsthuber, Künstlerinnen in Österreich, S. 42ff.

4 Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen bis 1938 [zweisprachig Deutsch/Englisch]. Hg. v. Andrea Winklbauer und Sabine Fellner im Auftrag des Jüdischen Museums Wien. Wien 2016. Begleitend zur gleichnamigen Ausstellung im Jüdischen Museum Wien, 4.11.2016 bis 1.5.2017. Darin, S. 13–29: Andrea Winklbauer, Sabine Fellner: Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen bis 1938. Zur Mädchenbildung im Allgemeinen siehe Dieter J. Hecht, Gib dem Mädchen Unterricht nach seiner Weise. In: Die bessere Hälfte, S. 43–49, sowie Plakolm-Forsthuber, Künstlerinnen in Österreich.

5 UAAbKW Misc. IV/2, Statistik WS 1922/23.

6 Vgl. zum Folgenden die Arbeit von Beatrix Bastl, Die jüdischen Studierenden der Akademie der bildenden Künste Wien 1848–1948, Hamburg 2019 (= Schriften zur Kulturgeschichte 56), im Speziellen S. 119f. (Hanna Gärtner) und S. 104 (Elisabeth Eisler).

7 Vater: Prof. Dr. Gustav Gaertner, Pathologe, Universitätsarchiv der Akademie der bildenden Künste Wien (UAAbKW) Studienakt (Stud) Hanna Gärtner.

8 Silvie Aigner, Jüdische Bildhauerinnen in Österreich um die Jahrhundertwende, in: Die bessere Hälfte, S. 75–85, hier S. 76. Plakolm-Forsthuber, Künstlerinnen in Österreich, S. 209, hebt noch hervor, dass Frauen aufgrund der ihnen attestierten mangelnden Fähigkeit zur dreidimensionalen Gestaltung als für die Bildhauerei ungeeignet betrachtet wurden.

9 UAAbKW, Stud Hanna Gärtner, hs. Zeugnis Josef Müllner, 11.3.1929.

10 Vgl. Tamara Loitfellner, Kunstschaffend – Weiblich – Jüdisch. Die Rolle jüdischer bildender Künstlerinnen in Österreich vor 1938, in: Die bessere Hälfte, S. 57–73.

11 Sie war ihre Tante, https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Hanna_G%C3%A4rtner.

12 Die Mitgliedschaft dort war Frauen bis 1961 verwehrt! Loitfellner, Kunstschaffend – Weiblich – Jüdisch, S. 59.

13 „Wie sieht die Frau? Eine Ausstellung des Verbandes bildender Künstlerinnen und Kunsthandwerkerinnen.“ In: Reichspost, 23.5.1930, S. 7: „Sehr charakteristisch die Bronzebüste der Frau Niese von Hanna  G ä r t n e r.“ http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=rpt&datum=19300523&seite=7&zoom=33

14 Gisela Urban, Das erste in Wien öffentlich aufgestellte Werk einer Bildhauerin. In: Die Österreicherin, 1. Jg., Nr. 7, 1928, S. 9; Plakolm-Forsthuber, Künstlerinnen in Österreich, S. 227, weist darauf hin, dass ein monumentaler Fries Angela Stadtherrs bereits 1925 aufgestellt worden war.

15 https://www.wienerwohnen.at/hof/98/Herweghhof.html ; https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/B%C3%A4renbrunnen_(5,_Margareteng%C3%BCrtel_82).

16 http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=bue&datum=1937&page=1505&size=45&qid=ZIA7PROF9I3EOK5CSTDC2QU507HNGG, Elisabeth Rink: Hollywood bestellt Wiener Filzpuppen. In: Die Bühne, Heft 461, 1937, S. 45–47.

17 lt. Beatrix Bastl, Die jüdischen Studierenden, S. 119. Hanna Gärtner scheint allerdings noch 1938 in Lehmanns Adressbuch auf, und im Österreichischen Staatsarchiv liegt ihre „Vermögensanmeldung“ auf, https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Hanna_G%C3%A4rtner.

18 Taylor Coffmann, Hearst And Marion. The Santa Monica Connection. Publications In Hearst Studies 2010, http://www.coffmanbooks.com/HAMpdfs/Hearst_and_Marion.pdf , S. 274. Hier wird Hanna Gaertner als “a female sculptor in Germany named Hanna Gaertner, who happened also to be Jewish” beschrieben.

19 Auskunft lt. Gerhard Landauf, mündliche Mitteilung Dezember 2015.

20 Elisabeth Klamper, Zur politischen Geschichte der Akademie der bildenden Künste 1918 bis 1948. Eine Bestandsaufnahme. In: Hans Seiger, Michael Lunardi, Peter Josef Populorum (Hg.): Im Reich der Kunst. Die Wiener Akademie der bildenden Künste und die faschistische Kunstpolitik. Wien 1990 (= Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik 50), S. 5–64. S. 30ff. für die „Säuberung“ der Akademie von Studierenden.

21 UAAbKW Misc. IV/2, Statistik SS 1938.

22 Verena Pawlowsky, Die Akademie der bildenden Künste Wien im Nationalsozialismus. Lehrende, Studierende und Verwaltungspersonal. Wien – Köln – Weimar 2015 (= Kontexte. Veröffentlichungen der Akademie der bildenden Künste Wien 1). Die dazugehörige Datenbank: http://ns-zeit.akbild.ac.at/.

23 UAAbKW VA 1941, Zl. 1044 (im Studienakt und in VA).

24 UAAbKW VA 1941, Zl. 1091, 9.12.1941.

25 Die durchgehend männliche Bezeichnung entspricht dem Wortlaut der Akten.

26 UAAbKW VA 1941, Zl. 1091, 9.12.1941.

27 https://www.wienerwohnen.at/hof/47/47.html ; https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Elisabeth_Eisler.

28 lt. AKL.