Tony Conrad
Lecture zum Thema "Using carefully selected harmonic intervals and new scales in music, with reference to performance and software applications; and comments on the changed practicality of microtonality as a basis for harmonic listening" im Rahmen von Wien Modern in Kooperation mit Sixpackfim, Brut und dem Filmmuseum organisiert vom Institut für bildende Kunst/Dozentur Kunst und Film, Univ.-Prof. Harun Farocki. Im Anschluß daran findet ein Publikumsgespräch statt.
Mit seinem ersten Film The Flicker produzierte Tony Conrad 1966 ein maßgebliches Werk des strukturellen Films und wurde zu einer zentralen Figur der US-amerikanischen Avantgarde. Durch die Fokussierung auf das Filmmaterial selbst und die medienspezifischen Gegebenheiten der filmischen Apparatur wird die Aufmerksamkeit der ZuseherInnen auf die eigenen Wahrnehmungsprozesse gelenkt. Das rhythmische Pulsieren von schwarzen und durchsichtigen Kadern erzeugt stroboskopische Lichtblitze, die die Retinas der BetrachterInnen bearbeiten bis diese (imaginierte) Farben und Formen zu sehen beginnen. Das Interesse an der Auslotung der sensorischen Fähigkeiten ist auch ein zentrales Thema in den Filmen der 1970er Jahre. Das Zusammenspiel zwischen den wesentlichen Elementen der Kinosituation und deren Auswirkungen auf die ZuschauerInnen wirft die Frage auf: Was ist Film? So simpel diese Frage klingt, ist es doch schwierig eine präzise Antwort darauf zu finden. Film beginnt in den meisten Fällen mit Material, Celluloid, das die An-- bzw. Abwesenheit von Licht festhält. In Curried 7302 (1973) und 7302 Creole (1973) wird das Filmmaterial nach unterschiedlichen Rezepten gekocht und die Auswirkungen dieses Prozesses kreieren ein kulinarisches Spiel von wechselnden Farbkaskaden. Der Celluloidstreifen wird dann durch den Filmprojektor geschickt, der den Lichtstrahl auf eine weiße Leinwand wirft. Auf dieser zweidimensionalen Fläche nimmt das menschliche Auge Bewegung im dreidimensionalen Raum wahr; eine Fehlleistung in doppelter Hinsicht, da die Bewegung erst durch das Unvermögen des menschlichen Auges, 24 Bilder pro Sekunde separat zu registrieren, entsteht. Das Nachleuchten der Einzelbilder erzeugt die Illusion von Bewegung. Auch der räumliche Aspekt des Wahrgenommen ist eine Leistung des Hirns, da alles Abgebildete nur Schatten auf einer flachen Leinwand sind.Tony Conrad thematisiert diese Fragestellungen auch in seinen Expanded Cinema Arbeiten. In Pickled Eastman Kodak 7302 (2006) legt er Filmmaterial wie saure Gurken in Einweckgläser ein und stellt sie im Kunstkontext aus. Die 1973 begonnene Serie Yellow Movies besteht aus gemalten Leinwänden, deren Innenrand exakt gezogen ist, während der Aussenrand ausfranst. Dadurch verweist Conrad auf den einzig realen Raum der Filmbetrachtung: dem zwischen Leinwand und Auge.
Da die Kinoerfahrung ein audiovisuelles Erlebnis ist, nimmt auch der Ton in Tony Conrads Arbeiten eine zentrale Rolle ein. Er wird beispielsweise in Articulation of Boolean Algebra for Film Opticals (1975) durch das Bild erzeugt oder die Tonproduktion ist wie in Accordion (1981) im Bild sichtbar. Nicht zuletzt tritt er als Komponist von Filmmusik in Erscheinung wie bei Scotch Tape (1963) von Jack Smith. Unbekannter sind Tony Conrads Videoarbeiten der späteren Jahre. Auch hier stellt der Künstler medieninhärente Bedingungen in Frage und dekonstruiert sie. Auf humorvolle Weise werden Blickregime aufgebrochen, Geschlechterkonzepte hinterfragt und Machtdiskurse unterwandert. No Europe (1990) basiert auf der Überlegung wie die Vereinigten Staaten aussehen würden hätte es keine Kolonialisierung durch die Europäer gegeben. Wie in den meisten Videoarbeiten agiert der Künstler hier auch vor der Kamera. In Claiming L.A. (2002) schlüpft er in die umgekehrte Rolle und beansprucht als Eroberer Los Angeles. Oft hantiert Conrad mit Verkleidungen: In Conversation II (2005), stellt sein Gesicht halb Mann und halb Frau dar, wobei die beiden Hälften ein spannungsgeladenes Gespräch über Begehren führen. In Hello Happiness (2001) wiederum setzt er den eigenen Körper in Bezug zu sadomasochistischen, homosexuellen Praktiken.
Neben den beiden Filmprogrammen, die am 30.10. im Filmmuseum präsentiert werden, gibt es am 26.10 und von 29.-31.10. im brut die Möglichkeit auf mehreren Monitorstationen weitere Videoarbeiten von Tony Conrad zu sichten. Dort sind dann unter anderem seine gesellschaftskritischen Dokumentationen, die für einen Community TV-Sender entstanden sind, zu sehen wie auch Arbeiten, die sich mit der Abbildung von Konzertsituationen auseinandersetzen. Neben den Videoarbeiten kann man sich auch in Texte von und über den Künstler vertiefen sowie seine Musik hören.Tony Conrad ist nicht nur Filmemacher, sondern auch Musiker und Komponist. Bekannt wurde er als Mitbegründer der Minimal Music und Mitglied von The Dream Syndicate (gemeinsam mit John Cale, Angus MacLise, La Monte Young und Marian Zazeela). Durch die Verwendung von langen Zeitintervallen und nicht westlicher Harmonielehre werden die Hörgewohnheiten herausgefordert. Im Rahmen von Tony Conrad DreaMinimalist gibt es drei Gelegenheiten in diese neuen Klangwelten einzutauchen. Am 26.10. hat eine neue Komposition für verstärkte Streichinstrumente ihre Uraufführung, am 28.10. setzen sich internationale NoisemusikerInnen mit Tony Conrad auseinander und am 31.10. spielt er ein Solokonzert.
Konzept und Programmauswahl: Michaela Grill, Berno Odo Polzer, Thomas Schäfer