Wintersemester 1920/21 – Die ersten Studentinnen
Wer waren die ersten 14 Frauen, die im Wintersemester 1920/21 ihr Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien begannen? Und wie ging es danach weiter? Statistische Daten und Fakten aus den Studierendenakten des Universitätsarchivs geben interessante Ein- und Ausblicke.
Das Universitätsarchiv der Akademie der bildenden Künste Wien (UAAbKW) bewahrt die Matrikelbücher, in denen Studierende der Akademie eingetragen wurden. Diese gehen bis ins Jahr 1726 zurück. Studierende, die um/nach 1900 ihr Studium an der Akademie begonnen haben, sind dagegen in eigenen Studienakten in der Form von vorgedruckten Bögen erfasst. Erst ab dem Wintersemester 1920/21 wurden auch Frauen zum Studium an der Akademie zugelassen.
Die frühen Studierendenakten haben keine Matrikelnummern (1) , sondern durchlaufende Registriernummern. Geht man nach diesen Nummern, wäre Helene Duczynska mit der Nummer 296 die erste Studentin, die an der Akademie der bildenden Künste Wien offiziell immatrikuliert und inskribiert war. Sie studierte drei Semester, von 1920 bis 1922, Architektur bei Friedrich Ohmann. (2) Geboren in Brunn, Maria Enzersdorf, lebte sie mit ihrer Mutter in Wien. Bei Eintritt in die Akademie war sie 23 Jahre alt. Laut ihrem Studienakt hatte sie ein Semester Architektur an der TU Zürich studiert. (3)
Die zweite Studentin der Architektur, Wilhelmine Ohmann, war die Tochter des Akademieprofessors Friedrich Ohmann und mit Architekt Hans Pfann verheiratet. Sie blieb nur ein Semester an der Architekturschule ihres Vaters. Vorbildung: Kunstschule Kurzweil (eine private Schule) und zwei Jahrgänge Kunstgewerbeschule. (4) Somit studierten im Wintersemester 1920/21 zwei Frauen gegenüber 88 Männern Architektur, im Sommersemester 1921 war es dann nur mehr eine Frau.
Die drei ersten Bildhauerinnen(3 Frauen/38 Männer), Hanna Gaertner (5) , Annie Eisenmenger und Filicitas Koranyi, hatten durchwegs eine sehr gute Vorbildung, meist einige Jahre an der Kunstgewerbeschule; Filicitas Koranyi aus Nytra (Nitra, Neutra) in der heutigen Slowakei studierte acht Jahre Bildhauerei in Budapest. Sie waren nach dem Studium als Bildhauerinnen überaus erfolgreich tätig. So spezialisierte sich zum Beispiel Annie Eisenmenger auf Tierdarstellungen und war auch als Illustratorin unter anderem von Publikationen von Konrad Lorenz tätig.
„Frl. Anny Eisenmenger hat die allg. Bildhauerschule von 1920–24 und die Meisterschule für Bildhauerei von 1924–28 unter meiner Leitung absolviert. Ihr grosser Fleiss, vereint mit einer schönen Begabung, brachten ihren Arbeiten die besten Erfolge. Besonders lobend sei ihrer Tätigkeit auf dem Gebiete der Keramik gedacht. Frl. Eisenmenger beherrscht diese Materie vollkommen. Die in verschiedenen Ausstellungen gezeigten Werke ihrer Hand gaben stets das beste Zeugnis ihres Talentes.“ - Meisterschulzeugnis ausgestellt am 12.April 1938, gez. Rektor Ferdinand Andri, Professor Josef Müllner.
Neun Frauen studierten ab Wintersemester 1920/21 Malerei (9 Frauen/149 Männer). (6) Der familiäre Hintergrund ist auch hier das gehobene Bildungsbürgertum: Unter den Vätern finden sich Mediziner und höhere Beamte sowie ein Lehrer, ein Ingenieur, ein Chemiker und ein Rechtsanwalt. Auch bei den Studentinnen der Malerei fällt die gute Vorbildung auf: Beinahe alle Frauen hatten nicht nur eine, sondern oft mehrere Ausbildungsstätten nacheinander besucht, etwa die Kunstschule für Frauen und Mädchen, die Kunstgewerbeschule, die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt, die Akademie in München, oder sie hatten Privatunterricht erhalten. Einige hatten zuvor die Lehrerinnenbildungsanstalt besucht.
Maria Heider zum Beispiel hat neben der Lehrerinnenbildungsanstalt auch eine Musikausbildung (Klavier) aufzuweisen. Als Tochter eines Lehrers scheint ihr der Lehrerinnenberuf vorgezeichnet. In diese Richtung zielt auch das von Rudolf Jettmar verfasste Studienzeugnis:
„Fräulein Marie Heider hat den ersten Jahrgang der allgemeinen Malerschule mit Fleiss und gutem Erfolge absolviert. Ihre Anlagen rechtfertigen eine weitere Ausbildung und der Umstand, dass sie ihre Studien zur Ausübung des Lehrberufes betreibt, lassen die Fortsetzung derselben durch mindestens 1–2 Jahre notwendig erscheinen.“ - Studienzeugnis vom 26.6.1921, gez. Prof. Rudolf Jettmar.
Nur bei Manci Wagner-Nemes ist im Studienakt keine einschlägige Vorbildung angeführt. Auf Grund des ausreichenden Vorstudiums direkt in eine Meisterschule aufgenommen wurden Agnes Hochstetter und Luise Kadletz-Tittel (Meisterschulen Josef Jungwirth bzw. Rudolf Bacher).
Die Studienzeugnisse unterscheiden sich im Wortlaut kaum von denen ihrer männlichen Studienkollegen. Die Leistungen der Studentinnen wurden auch über zahlreiche Schulpreise gewürdigt: Josefine Koller etwa erhielt 1926 den Meisterschul-Preis, auch Manci Wagner-Nemes, Roxanda Cuvay-Zurunic und Luise Kadletz-Tittel gewannen Preise.
Zeugnis Josefine (Finy) Koller: „Dieselbe hat mit ausdauerndem Fleiße und großem Ernste durch alle vier Jahre ihren Studien oblegen. Vor allem waren es kleinere Arbeiten figuraler Natur und wohlgelungene Bildnisse, welche Fräulein Koller neben ihren Hauptarbeiten, einem Triptychon „Adam und Eva“ im Paradiese“ und „Badende Frauen“ ausführte. – Für das genannte Triptychon erhielt sie einen Meisterschulpreis. Aus allen Arbeiten ersah man eine ausgesprochene künstlerische Begabung, welche sich im ernsten Streben gut entwickelte.“ - 26. Juni 1929, unterschrieben von Rektor und Professor Josef Jungwirth.
Zumindest fünf der neun Frauen sind nach Ende des Studiums künstlerisch tätig und werden im Allgemeinen Künstlerlexikon erfasst. Bemerkenswert ist der Werdegang von Roxanda (Roxane) Cuvay-Zurunic: Sie studierte acht Semester an der Allgemeinen Malerschule und anschließend sechs Semester in den Meisterschulen für Graphik bei Rudolf Jettmar und Malerei bei Karl Sterrer. Gleichzeitig studierte sie Kunstgeschichte, Archäologie, Psychologie(Universität Wien, Zagreb) sowie Architektur (Technische Universität Wien) und promovierte 1938 als Dr.phil. an der Universität Zagreb. Sie arbeitete als Kunsterzieherin, lehrte an der Kunstgewerbeschule Salzburg und leitete als erste weibliche Professorin 1963 bis 1974 die Allgemeine Grundklasse der Kunstschule der Stadt Linz. (7) Als Malerin und Grafikerin tätig, stellte sie von1928 bis 1971 aus. (8)
In die Meisterschule für Graphik wurden 1920/21 gar keine Frauen aufgenommen.
Das Studium an der Akademie, vor allem das der Malerei und Graphik sowie der Bildhauerei, war seit dem 19. Jahrhundert zweigeteilt: Es gab die sogenannte Allgemeine Maler- bzw. Allgemeine Bildhauerschule, an der nicht nur ein Professor, sondern mehrere parallel unterrichteten. (9) Dies war eine Art Grundstudium, in dem Aktzeichnen, Zeichnen und Malen bzw. Modellieren nach dem Modell, Kompositionsstudien und das Arbeiten mit diversen Materialien (10) unterrichtet wurde. Nach durchschnittlich vier Jahren konnten die Studierenden mit dem Titel akademische_r Maler_in bzw. akademische_r Bildhauer_in abgehen. (11) Dieses System bestand von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1939. Als weiterführendes Studium konnten noch beliebig viele Jahre an einer der Meisterschulen (12) angeschlossen werden, an denen jeweils nur ein Professor unterrichtete. Der gesamte Lehrkörper war in dieser Zeit noch bis in die 1940er rein männlich besetzt.
Wie geht es dann weiter? Die Statistiken zeigen, dass die Zahl der an der Akademie inskribierten Frauen nur allmählich anstieg. Standen im Wintersemester 1920/21 noch 14 Frauen 250 Männern gegenüber, waren es 1929/30 schon 47 gegenüber 277 Männern. 1969/70 sind immer noch etwa halb so viele Frauen wie Männer inskribiert, 1999/2000 sind dann deutlich mehr Frauen als Männer unter den Studierenden. (13)
Eva Schober, Leiterin Universitätsarchiv der Akademie der bildenden Künste Wien
Fußnoten:
1 Die siebenstelligen Matrikelnummern wurden ab 1974 vergeben.
2 Gleichzeitig, nämlich von 1920/21 bis zum Wintersemester 1921/22 studierte sie auch an der heutigen Technischen Universität Wien Fächer aus dem Bereich der Bauschule. Später, sie hieß dann Helene Polanyi , studierte sie ab dem Studienjahr 1928/29 weitere vier Jahre an der TU Wien (Allgemeine Abteilung/Lehramt sowie Technische Physik). Freundliche Mitteilung Dr. Paulus Ebner, Archiv der TU Wien.
3 Mehr zu Helene (Ilona) Duczynska in einen kommenden Beitrag aus der Serie Archivist’s Choice und unter dem Wikipedia-Eintrag https://de.wikipedia.org/wiki/Ilona_Duczy%C5%84ska .
4 heute: Universität für angewandte Kunst Wien.
5 Zu Hanna Gaertner wird es einen eigenen Beitrag geben.
6 Gertrud Baierlein, Roxanda Cuvay-Zurunic, Maria Heider, Agnes Hochstetter-Hlawa, Luise Kadletz-Tittel, Josefine Koller, Friederike Mosmeyer, Hedwig Plahner, Manci Wagner-Nemes.
7 heute: Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz
8 siehe Allgemeines Künstlerlexikon (Cuvay Roxane), s. auch Heinrich Fuchs, Die österreichischen Maler des 20. Jahrhunderts.
9 Im Wintersemester 1920/21: Allgemeine Malerschule – Julius Schmid (Abendakt, Leiter), Ferdinand Andri, Rudolf Jettmar, Josef Jungwirth, Hans Tichy. Allgemeine Bildhauerschule – Josef Müllner (Leiter).
10 Für die Bildhauerschule: Arbeiten in Marmor, Sandstein und Holz
11 Diplome für Malerei, Graphik und Bildhauerei wurden erstmals 1942 vergeben: Erst mit der Zuerkennung des Hochschulstatus der Akademie (1. April 1940) wurden im Zuge der Neuorganisation des Studienbetriebes Diplome für alle Studienrichtungen eingeführt. Alle Absolvent_innen erhalten von nun an nach einer Schlussarbeit und einer Diplomprüfung Diplome. Zur Regelung des Architekturstudiums vgl. Wilfried Posch, Holzmeister – die Wiener Akademie 1924–1961.
12 Bis 1921/22 heißen sie Spezialschulen. Das Meisterschulprinzip blieb bis 2000 bestehen.
13 Im UAAbKW sind die Studierendenzahlen als statistische Bögen bis 1943/44 erhalten, ein Einzelblatt führt die Zahlen 1945-1955 an (MSZ IV/2);die Statistik des Studienjahres 1920/21 ist in Verwaltungsakt Zahl 945 ex 1921 zu finden. Angabe der Daten nach 1955 laut Statistik Austria, https://www.statistik.at/ . Ab dem Studienjahr 2000/01 sind alle Daten online, unter unidata.gv.at , Ordentliche Studierende an Universitäten.
Literatur:
Allgemeines Künstlerlexikon - Internationale Künstlerdatenbank – Online, https://db.degruyter.com/
Heinrich Fuchs, Die österreichischen Maler des 20. Jahrhunderts Bd. 1–4, Wien 1985–1986
Sabine Plakolm-Forsthuber, Künstlerinnen in Österreich 1897–1938 : Malerei – Plastik – Architektur, Wien 1994
Wilfried Posch, Holzmeister – die Wiener Akademie 1924–1961, Anfang und Ende des Meisterschulgedankens und die immerwährende Reform, aus: Archiv für Baukunst/Christoph Hölz(Hg.), Gibt es eine Holzmeister-Schule? Clemens Holzmeister | 1886–1983 | und seine Schüler, Innsbruck 2015, S.111ff
Walter Wagner, Die Geschichte der Akademie der bildenden Künste in Wien, Wien 1967