QUER DURCH DIE ITALIENISCHE FOTOGRAFIE. Rund um die Ausstellung "Viaggio in Italia”, das Zwischending aus Landschaft, Kunst, Architektur und Archetypen
Melissa Destino
Dissertationsstipendiat_in an der Akademie der bildenden Künste Wien | Abschluss-Stipendium des Doktoratszentrums 2023
Abstract
QUER DURCH ITALIENISCHE FOTOGRAFIE. Rund um die Ausstellung "Viaggio in Italia”, das Zwischending aus Landschaft, Kunst, Architektur und Archetypen
untersucht die Genese der so genannten italienischen Landschaftsfotografie, einer neuen Art der Fotografie, die in den 1980er Jahren in Italien entstanden ist. Trotz ihrer Definition ist es faszinierend, dass man weder von einer Schule noch von einer kanonischen Interpretation der Landschaft sprechen kann.
Die Fotografen, die an der von Luigi Ghirri, Gianni Leone und Enzo Velati organisierten Ausstellung Viaggio in Italia 1984 in der Pinacoteca Provinciale in Bari teilgenommen haben, stammen zwar aus verschiedenen Regionen, teilen aber alle ein ähnliches Bedürfnis, nämlich die Veränderungen in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg zu untersuchen. Dieses Bedürfnis entspricht einer Dringlichkeit, die durch die historischen, sozialen, architektonischen und materiellen Veränderungen der Landschaft hervorgerufen wurde.
Das Bild Italiens kann nicht mehr das Monumentale der italienischen faschistischen Postkarten sein, denn die Städte expandieren, die Peripherien wachsen und die städtischen Strukturen verändern sich. In diesen Jahren des Wiederaufbaus, in denen Büro-, Fabrik- und Sozialwohnungsviertel sich in einer neu entstehenden Zersiedelung entwickeln, widmen Architekten, Urbanisten und Theoretiker wie Bernardo Secchi, Bruno Zevi und Italo Zannier der Landschaft eine neue Aufmerksamkeit. Fotografen mit einem Hintergrund in Architektur, Literatur und Philosophie wie Guido Guidi, Gabriele Basilico, Carlo Garzia und Gianni Leone (um nur einige zu nennen) begannen, das Territorium zu erforschen, es zu vermessen und mit der Kamera zu erfassen. Für die Ausstellung verwenden die Fotograf_innen von Viaggio in Italia den Topos der Italienischen Reise als Referenz, die es umzudrehen und zu demontieren gilt: Das Spektakuläre wird durch das Alltägliche ersetzt, die markanten Einzelbilder durch Fotoserien, die Zentren durch die Außenbezirke. Die "neue Fotografie" steht zwischen Archetypen, Mythologie, Ikonographie der bildenden Kunst, der Geschichte der Fotografie und Architektur sowie Urbanismus und Umweltschutz.
Viaggio in Italia stellt einen Wendepunkt dar, einen letzten kollektiven Versuch, das Bild von Italien neu zu definieren. Ziel dieser Untersuchung ist es, die sozioökonomische Dynamik, die diesem außergewöhnlichen und nicht wiederholten Ereignis zugrunde liegt, aufzudecken und dessen Verständnis zu vertiefen. Durch die Einordnung in einen breiteren Kontext nähert sie sich der Interpretation dieses Phänomens mittels Analyse scheinbar marginaler, nicht zusammenhängender Faktoren wie zum Beispiel erzählerischer Mittel und geteilter Gefühle.
Kurzbiographie
Melissa Destino (Bari, 1984) ist Kuratorin, Wissenschaftlerin und Autorin mit einem Hintergrund in zeitgenössischer Kunst, Design und Fotografie. Derzeit arbeitet sie als künstlerische Koordinatorin an der Städelschule in Frankfurt am Main. Sie ist Doktorandin in der Abteilung für Kunsttheorie und Kulturwissenschaften an der Akademie der bildenden Künste, Wien.